Die Mission des Wanderchirurgen
seiner Gefährten galt, und sagte: »Fabio, darf ich Bussola auch diesmal wieder als Botschafterin benutzen?«
Der Überlandfahrer wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »
Sì, amico, naturalmente,
aber meine Schöne, meine Holde darf erst übermorgen wieder in die Lüfte. Ich will nicht, dass sie ganz vom Fleische fällt, muss sie erst wieder aufpäppeln.«
»Das verstehe ich. Dennoch will ich jetzt gleich schreiben. Wer weiß, ob ich demnächst dazu komme.« Vitus setzte sich ans Feuer und verfasste einen kurzen Brief, in dem er zunächst dem Professor für seine Zeilen dankte und dann noch einmal auf seine Pesttheorien zu sprechen kam. Er überlegte, ob er Girolamo von dem tragischen Krankheitsfall in der Gruppe berichten sollte, unterließ es dann aber, nicht zuletzt, weil er glaubte, als Arzt versagt zu haben. So schrieb er nur, dass es ihm, dem Magister und dem Zwerg weiterhin gut gehe.
Und dass der Herr Professor sich keine Sorgen um sie machen müsse.
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Der Geigenbauer Guido
»Du Schwein! Das sollst du mir büßen,
du Schwein mit deiner Scheißtaube, dieser Ratte der Luft!«
W ieder saß Vitus am Kochfeuer und schrieb. Es war zwar erst um die Mittagsstunde, aber er benötigte eine Lampe, um genügend Licht zu haben. Über seinem Kopf spannte sich eine Zeltplane, die das Feuer und die Laterne vor dem seit Stunden herabrieselnden Regen schützte.
Alles war klamm an diesem Tag.
Da sich jüngst abermals undurchsichtiges Volk in der Nähe des Rings herumgetrieben hatte, vor allem Diebespack, dem man förmlich ansah, dass es seine Habe von Pesttoten zusammengestohlen hatte, musste auch weiterhin tagsüber Wache gelaufen werden. Zur Zeit zogen Fabio und Guido ihre Runden, mehr oder weniger maulend, denn eigentlich wären der Zwerg und Antonella dran gewesen. Sie gingen Seite an Seite und gaben dabei ein seltsames Paar ab: der eine die Muskete auf dem Rücken, der andere seinen Geigenkasten.
Vitus legte die Feder fort und rieb sich die kalt gewordenen Hände. Dann klappte er das Buch mit seinen Aufzeichnungen zu. Die letzte lautete:
Im Feuerring,
Sonntag, 22. Tag des Monats November, A. D. 1579
Gestern war die wohl schwärzeste Stunde, die ich als Arzt jemals erlebt habe. Antonella starb bei Tagesanbruch, nur acht Tage nachdem sie ihr Kind geboren hatte. Trotz aller meiner Bemühungen, die jedoch bescheiden genug ausfielen, erlag sie dem tückischen Kindbettfieber. Die ganze Gruppe war wie vor den Kopf geschlagen, am meisten aber litt der Zwerg. Ich glaube, wenn die kleine Nella nicht gewesen wäre, hätte er seinem Leben ein Ende gemacht.
Mir war ähnlich zumute. Immer wieder hielt ich mir die Situation kurz nach der Geburt vor Augen. Ja, so war es gewesen: Ich hatte Antonellas Genitale reinigen und versorgen wollen, doch sie hatte abgewehrt, denn sie wollte es selbst machen. Und ich, ich vermaledeiter Pfuscher, hatte das zugelassen. Hatte zugelassen, dass Unreinheit in die Vagina gelangen konnte. Nur deshalb musste Antonella sterben. Nur deshalb gerieten ihre Säfte im Leib so unrettbar aus dem Gleichgewicht.
Wie ich mit dieser schweren Sünde zurechtkommen werde, weiß Gott allein.
Wir haben Antonella begraben, im Feuerring, der letzten Station ihres Lebens, dicht neben dem großen Scheitholzstapel. Der Magister übernahm für mich die Gebete, denn mir war so elend, dass ich mich am liebsten neben die Tote gelegt hätte. Der Zwerg Enano weinte immerfort. Er hielt die Kleine im Arm, die dem Anlass zum Trotz fröhlich krähte und ihre Ärmchen in die Luft stieß. Gottlob bekam sie von alledem nichts mit.
Die Frage der Ernährung für Nella lastet schwer auf uns. Was nützt es, dass wir die Kleine der Toten noch ein letztes Mal an die Brust legten! Früher oder später wird sie jämmerlich verhungern. Ich verstehe nicht viel von Säuglingspflege, aber so viel ist gewiss: Kein Neugeborenes dieser Welt verträgt Fleischsuppe oder -brühe. Wir beten zur Jungfrau, sie möge uns helfen, doch das taten wir auch schon für Antonella, und dennoch starb sie.
Seit heute Morgen haben wir Dauerregen. Das Wetter passt zu unserer Stimmung. Der Zwerg ist pausenlos im Einsatz, um das Ringfeuer immer wieder neu zu entzünden. Vielleicht ist es ganz gut so, denn die Tätigkeit lenkt ihn ein wenig von seinem Kummer ab. Der Magister übernahm dafür die Pflege des Kindes.
Am späteren Vormittag erhob sich Bussola wieder in die Lüfte – aufgepäppelt von ihrem Herrn, der alsbald wegen des
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