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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Cirurgicus, beides ist nicht gottgefällig.« Aber niemand achtete auf ihn, denn jetzt wurde es oben auf dem Podest ernst. Beide Gegner standen sich gegenüber, der Jüngling mit der blanken Klinge, der Alte seltsamerweise nur mit einem Stock in der Hand.
    »Ich erkenne so wenig«, quengelte der kleine Gelehrte. »Gott verfluche den Glasschleifer in Genua, der mir diese miserablen Berylle verpasst hat. Hat der junge Kerl schon gewonnen? Beim Blute Christi, wo sollen wir nur einen Vierer hernehmen? Sag, Vitus, wie sieht es da oben aus?«
    »Es ist noch nichts geschehen. Der junge Bursche steht da in tadelloser Fechtergrundstellung, der Alte hingegen stützt sich auf seinen Stock.«
    »Hölle, Hades und offener Orkus! Ich wusste es doch: Der Alte spielt mit seinem Leben, was ist nur in ihn gefahren?«
    In der Zwischenzeit hatte der Jüngling ein paar Vorstöße gemacht, sich danach aber sofort wieder zurückgezogen. Offenbar wollte er nur die Schnelligkeit seines Gegners herausfinden. Damit jedoch schien es nicht weit her zu sein. Nur unbeholfen wich der Alte aus, und der Jüngling hätte um ein Haar schon den einen oder anderen Treffer gelandet.
    »Und was passiert jetzt?«, fragte der Magister mit vor Aufregung heiserer Stimme.
    »Nichts«, antwortete Vitus betont ruhig. »Der Heißsporn steht da mit abwärts geneigter Klinge und bietet eine Sixt an. Er lädt den Alten zum Angriff ein.«
    »Bei allen zwölf Aposteln! Du solltest dazwischengehen. Wenn du es nicht tust, tue ich es.«
    Der kleine Gelehrte war drauf und dran, die Bühne zu erklimmen, doch Vitus hielt ihn zurück. »Nein, lass uns noch abwarten.«
    In der Tat schien der Alte mehr Glück als Verstand zu haben, denn immer dann, wenn der Jüngling einen Ausfall machte, verfehlte er ihn nur um Haaresbreite. Einige Leute in der Menge, besonders die Frauen, wurden immer besorgter um das Wohl des alten Mannes, und die Aufforderungen, den Kampf zu beenden, mehrten sich. Doch die Angst schien unbegründet. Mit jedem Hieb, den der Jüngling austeilte, schien der Alte sich um ein Stück zu verjüngen. Alsbald hatte man den Eindruck, es sei nicht nur Zufall, dass der Jüngere ins Leere schlug, sondern eher die wohl berechnete Schnelligkeit seines Gegenübers.
    »Der Heißsporn hat eben einen Sturzangriff gemacht«, hielt Vitus den Magister auf dem Laufenden, »und der Alte hat pariert und mit einer Riposte geantwortet.«
    Der kleine Gelehrte blinzelte. »Sagtest du Riposte? Wolltest du damit andeuten, der Alte könne fechten?«
    Vitus entgegnete nichts, denn nun überschlugen sich die Ereignisse. Während seines Gegenangriffs hatte der Alte mehrmals mit dem Stock zugestoßen und dabei die Rippen des Jünglings getroffen; alles war so blitzartig schnell abgelaufen, dass das menschliche Auge es kaum verfolgen konnte. Der Jüngling stöhnte auf vor Schmerzen. Durch die Menge ging ein Raunen.
    »Ja«, bestätigte Vitus, »der Alte kann tatsächlich fechten. Und wie! Sein Stock scheint mir ein Dussack zu sein, die alte hölzerne Fechtwaffe.«
    Mittlerweile hatte der Greis mit jugendlicher Kraft und großer Leichtfüßigkeit weitere Stockschläge ausgeteilt. Die Gegenwehr des Jünglings war vollständig erlahmt. Er kniete in gekrümmter Haltung auf den harten Brettern des Podests und schnappte nach Luft. Der Degen entglitt seinen Händen.
    »Gibst du dich geschlagen?«, rief der Alte.
    »J … ja«, keuchte der Jüngling.
    »So will ich von dir lassen. Aber nur, wenn du deine Wette einlöst.«
    »Ja, j … ja doch!« Der Unterlegene schien ernsthafte Schmerzen zu haben, denn er hielt sich immerfort die Seite und versuchte mehrmals vergeblich aufzustehen.
    »Ich bekomme fünfzig Vierer von dir!«
    »Genauso wie ich!« Der Ausruf kam von Vitus, der mit einem Satz auf das Podest sprang.
    Der Alte stutzte für einen Augenblick. Ein Funke des Erkennens schien in seinen Augen aufzublitzen, doch dann wandte er sich wieder der Menge zu: »Genauso ist es! Auch diesem Mann hier stehen fünfzig Vierer zu. Ihr alle habt gehört, wie er gewettet hat und mein vorlauter Widersacher darauf eingegangen ist …«
    Während der Alte weiter auf die Leute einsprach, kniete Vitus neben dem Verletzten nieder und untersuchte ihn. Rasch stand für ihn die Diagnose fest. Sich aufrichtend, sagte er zu dem Greis: »Dein Gegner hat mindestens zwei Rippen gebrochen. Er braucht einen Streckverband.«
    Der Alte nickte. »So, so, einen Streckverband.« Dann weiteten sich seine Augen, und er nahm Vitus

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