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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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befanden?«
    Vitus musste einen Augenblick nachdenken, bevor er die Antwort geben konnte: »Ich denke, genau an jenem Tag wurden wir mit dem Wrack der
Albatros
an den Strand von Neu-Spanien geworfen. Es war an einem Küstenstreifen zwischen den Städten Nombre de Dios und Puerto Bello, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Das tust du. Und hast du eine Ahnung, wer uns dort auflas?«
    »Wie könnte ich das jemals vergessen: Der Schmied Haff war es, zusammen mit seinem Hund.«
    Der kleine Mann breitete die Arme aus. »Ja, ja, geschlagene fünf Wochen waren wir ein Spielball der Stürme gewesen! Aber wir haben es überstanden.
Tempi passati!
Doch nun zu etwas anderem: Du weißt, dass wir arm wie die Kirchenmäuse sind, trotzdem wollten wir an deinem Geburtstag nicht mit leeren Händen dastehen. Deshalb haben wir beschlossen, dir etwas zu schenken, das für kein Geld der Welt zu kaufen ist: Zeit! Enano und ich, wir schenken dir unsere Zeit. Oder, um es anders zu sagen, wir werden auch weiterhin an deiner Seite sein, egal, ob du nun vierundzwanzig, vierunddreißig oder vierundvierzig Jahre alt wirst. Du kannst immer auf uns zählen.« Er schloss Vitus in die Arme und drückte ihn fest. Dann, damit die Sache nicht zu rührselig wurde, trat er schnell zurück und überließ dem Zwerg das Feld.
    »Der Altlatz un das Schäfchen wünschen dir gut Kiem, Assússo un Massel«, fistelte Enano, »un dass dir alleweil die Tauben in’n Mund fliegen.«
    Endlich kam auch Pater Ernesto an die Reihe, der vor Vitus das Kreuzzeichen machte und sagte: »Ich, mein Sohn, kann Euch nicht viel von meiner Zeit schenken, denn unsere Wege werden sich bald trennen. Aber ich schenke Euch etwas anderes, ebenfalls Unbezahlbares: Meine Hochachtung vor Euch und Eurer ärztlichen Kunst. Ich werde Euch immer in meine Gebete einschließen, damit Ihr gesund bleibt und Zufriedenheit erlangt.«
    Vitus wusste kaum noch, wo er hinblicken sollte, so verlegen hatten ihn die Worte der Gefährten gemacht. Schließlich krächzte er: »Ich denke, wir sollten jetzt aufbrechen.«
     
    Kurz bevor sie Alesón erreichten, sahen die Freunde Scharen von Menschen auf eine große, frei liegende Weide zueilen, auf der eine Art Holzbühne errichtet worden war. Ein hutzliges Männchen hüpfte darauf herum und schimpfte wie ein Rohrspatz: »Ja, ja, lacht nur über einen alten Mann, der sich nicht wehren kann! Dummes, hohlköpfiges Pack, das ihr seid! Mehr Respekt vor dem Alter, wenn ich bitten darf, ich habe schon für Karl V., Gott hab ihn selig, gekämpft, als ihr alle noch in die Windeln geschissen habt!«
    Einige Leute lachten. Zurufe wurden laut: »Na, na, übertreib mal nicht, Opa!«
    »Hoho, du kannst uns viel erzählen, Abuelo. Wir waren ja nicht dabei!«
    »Wer ist überhaupt Karl V.? Nie gehört. Hahaha!«
    Der Magister, der nicht viel sehen konnte, brummte: »Am vielen Lachen erkennt man den Narren, so heißt es doch, nicht wahr, Pater?«
    Ernesto nickte. »Ganz recht.
Per risum multum debes cognoscere stultum

    Unter den Lachern waren auch drei junge, gut gekleidete Burschen von Stand, die einen Platz dicht vor der Bühne ergattert hatten und sich einen Spaß daraus machten, Steinchen auf den Alten zu werfen. Die meisten Geschosse verfehlten ihr Ziel, doch manch eines traf auch, und jedes Mal, wenn das der Fall war, schrie der Greis »Autsch!« und sprang in die Höhe wie ein Floh.
    Das amüsierte die Zuschauer noch mehr. Die drei Jünglinge fühlten sich angefeuert und warfen weitere Kiesel, was neuerliche Schimpfkanonaden des hutzligen Alten zur Folge hatte. Der Größte der Rüpel schrie: »Du reißt das Maul ja nur so weit auf, Opa, weil du alt bist. Hahaha! Wenn du jünger wärst, würde ich dir schon zeigen, wie mein Degen spricht!«
    »Was?«, kreischte der Alte. »Habt ihr das gehört, Leute? Der Kerl hat einen, der sprechen kann!«
    Die Menge brüllte vor Lachen. Ihre Gunst, die eben noch den Jünglingen gegolten hatte, richtete sich auf den Greis. Der Jüngling zog ein saures Gesicht.
    Der Alte kam jetzt richtig in Fahrt: »Das ist ja großartig! Von so etwas habe ich noch nie gehört. Sage mir, mein Freund, spricht er eher im erschlafften oder im erstarkten Zustand? Doch halt, natürlich im erschlafften, denn wenn ich dich so anschaue, glaube ich wohl, dass sich bei dir nicht viel abspielt!«
    Vitus und die Freunde waren unterdessen so nahe herangekommen, dass sie den Zwist genau mitverfolgen konnten. Sie waren eingezwängt zwischen den anderen, konnten

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