Die Mission des Wanderchirurgen
Wie und wodurch das geschehen soll, entzieht sich meiner Kenntnis, doch es gibt einen Brief von Pater Thomas, dem dortigen Arzt und Prior, in dem dieser versichert, der endgültige Beweis sei erbracht. Wohl jeder wird verstehen, dass ich es unter diesen Umständen besonders eilig habe.
Gottlob sind wir alle bei guter Gesundheit, was insbesondere für die kleine Nella gilt, die das Reisen im Blut zu haben scheint. Der Zwerg ist nach wie vor Vater und Mutter für sie; der Magister und ich bilden die weitere Familie.
Auf unserem langen Weg lernten wir Pater Ernesto kennen, einen gütigen, gebetsfreudigen Augustinermönch, der dem Zwerg einen Herzenswunsch erfüllte, indem er unsere Kleine taufte.
Doch war das nicht die einzige heilige Handlung, die er vornahm, denn am gestrigen Tage passierte etwas Unglaubliches: Wir stießen auf die Artistas unicos, die alte Gauklertruppe, in welcher der Magister seinerzeit als Antipodist und ich als Cirurgicus gearbeitet hatten. Zerrutti und Maja, das Magierpaar, haben einen sechs Monate alten Sohn namens Zerro, und jenen Sprössling taufte der Pater heute Morgen ebenfalls. Zuvor jedoch traute er die Eltern in einer einfachen, eindrucksvollen Zeremonie.
Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie groß die Wiedersehensfreude war, als wir den alten Weggefährten begegneten, zumal wir damit niemals gerechnet hatten. Wie unerfindlich sind doch die Fügungen des Allmächtigen!
Die Truppe selbst ist immer noch dieselbe, wenn man davon absieht, dass Tirzah, das Zigeunermädchen, und der falsche Doctorus Bombastus Sanussus nicht mehr dazugehören. Antonio und Lupo sind in den vergangenen vier Jahren mächtig ins Kraut geschossen. Sie zählen jetzt zwanzig Jahre und sind mit Leib und Seele Artisten. Sie erzählten mir, ihre Schwester Nina habe manches Mal in der Vergangenheit nach mir gefragt, was mich freute, obwohl ich kaum glaube, dass sie sich deutlich an mich erinnern kann. Schließlich war sie damals erst vierzehn Jahre alt, also noch ein halbes Kind.
Jetzt ist es früher Nachmittag, die Artistas unicos schicken sich an, die Darbietungen des Tages wie immer mit dem Täuschungsmanöver eines hutzligen Alten auf der Bühne zu beginnen. In Wahrheit handelt es sich dabei um Arturo, einen Maestro di scherma, der gegen jedermann wettet, er würde ihn im Fechtkampf besiegen.
Uns allen fiel der Abschied schwer, viel schwerer noch als vor vier Jahren, und natürlich flossen Tränen. Antonio und Lupo haben mir aufgetragen, ihre Schwester Nina in Campodios zu grüßen. Hoffentlich vergesse ich es nicht.
Der Magister ist wohl der Einzige, dem nicht weh ums Herz war. Der Grund sind die neuen Berylle, die Joaquin ihm angepasst hat. Er behauptet, er habe jetzt Augen wie ein Adler.
Eine weite Reise liegt noch vor uns, und wir befehlen uns in Gottes Hand. Pater Ernesto wird uns noch ein Stück des Weges begleiten, bis auch er sich von uns trennen muss.
Herr im Himmel, wir danken Dir. Mit Deiner Hilfe sind wir der Pestis entronnen.
Dies soll meine letzte Eintragung sein.
»Was macht Euer Hühnerauge, Pater?« Vitus schritt neben Ernesto her, der keinerlei Anzeichen von Beschwerden oder Ermüdung zeigte. Die Gruppe hatte Alesón bereits passiert und bewegte sich auf einer staubigen Straße in südwestlicher Richtung. Der Himmel war wolkenverhangen, aber es regnete nicht. Links und rechts des Weges tauchten hinter den Feldern immer wieder Buchengehölze auf, ab und zu unterbrochen von kleinen Wäldern, in denen die zähe spanische Steineiche wuchs.
Der Gottesmann blieb für einen Augenblick stehen und zwang damit auch die anderen, Halt zu machen. Seine Augen nahmen einen spitzbübischen Ausdruck an, das Faltengespinst um die Brauen verdichtete sich. »Ihr meint sicher die Stelle, an der mein Hühnerauge einst saß, denn wie Ihr selber wisst, habe ich es nicht mehr.«
Vitus lachte. »Eure Antwort macht meine Frage überflüssig. Ich freue mich, dass Ihr wieder so gut fürbass schreiten könnt.«
Der Magister brummte: »Wenn Ihr auch nur annähernd wieder so gut gehen könnt, wie ich sehen kann, Pater, hat der Allmächtige es wahrhaft gut mit Euch gemeint.«
»Das hat er, mein Sohn, das hat er. Schließlich verdanke ich ihm auch, dass ich in den letzten Tagen eine Reihe prächtiger Menschen kennen gelernt habe. Doch lässt der Erlöser, wie Ihr wisst, die Bäume nicht in den Himmel wachsen, weshalb er auch für uns die Stunde des Abschieds nahen lässt. Wie Eure neu gewonnene Sehkraft Euch sicher
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