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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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bestätigen wird, liegen die Klöster Yuso und Suso bereits in der Ferne vor uns, jene erhabenen Stätten des Glaubens, die jeder Wanderer gesehen haben sollte.«
    Vitus hob die Hände. »Aber, Pater, ich sagte Euch doch schon …«
    »… dass Eure Zeit es nicht erlaubt, den ehrwürdigen Mauern einen Besuch abzustatten, ich weiß. Und ich antwortete Euch, dass Ihr Euer ganzes Leben noch adlig sein könnt, aber vielleicht nie wieder in diesem Leben nach Yuso und Suso kommt.«
    »Pater, so versteht doch, die Ungewissheit …«
    »Aber ich will nicht wieder von vorn anfangen. Die Zeit, einander Lebewohl zu sagen, ist da. Ihr, meine Freunde, werdet über Ezcaray, Fresneda und Punta de la Cruz nach Campodios wandern, während ich nach dem Besuch der beiden Klöster über Santo Domingo de la Calzada, Villafranca Montes de Oca und Burgos weiter dem Galizischen zustrebe. Gewiss, wir könnten den Abschied noch ein paar hundert Schritte hinauszögern, aber ich bin ein Mann, der die unangenehmen Dinge gern schnell hinter sich bringt.«
    Pater Ernesto richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sah in diesem Moment, obwohl noch immer von kleiner Statur, durchaus beeindruckend aus. »Vitus von Campodios, Ramiro García, Enano und Nella von Askunesien, ich segne euch hiermit im Namen des Herrn. Möge er auf allen Seinen Wegen mit euch sein, möge Er leuchten lassen Sein Angesicht über euch und euch Glück und Zufriedenheit bescheren, so wie es Ihm in Seiner Barmherzigkeit gefällt.«
    Er machte das Kreuzzeichen und umarmte dann jeden der Freunde einzeln. Sogar Nella nahm er aus den Händen des Zwergs, hob sie hoch, drückte sie an sich und gab sie wieder zurück. »Ihr seid ein glücklicher Mann, Enano von Askunesien. Gott der Herr kann seinen Geschöpfen keine größere Gnade schenken als Kinder. Achtet auf die Kleine und erzieht sie zu Seinem Wohlgefallen.«
    »Wui, wui, Herr Pater.« Enano schniefte. Wie gerührt er war, ließ sich schon daran erkennen, dass er zum ersten Male nicht »Himmelsmann« zu Ernesto sagte.
    Vitus sagte: »Da Ihr den Zeitpunkt des Abschieds nun bestimmt habt, Pater, wünschen auch wir Euch von Herzen alles Gute. Möge es Euch leicht fallen, die vielen Meilen, die Euch noch von Santiago de Compostela trennen, unter die Füße zu nehmen. Möge Euer Weg von Freude und Glück bestimmt sein. Erlaubt meinen Freunden und mir, diesen Weg noch ein wenig bequemer zu machen. Ihr wisst, dass ich fünfzig Viererstücke in der Wette gewonnen habe. Ein Fünftel davon soll Euch gehören.« Er nahm einen kleinen Ledersack und wollte ihn dem Gottesmann überreichen, doch dieser lehnte entrüstet ab:
    »Nichts für ungut, Cirurgicus, aber das kann ich nicht annehmen. Unmöglich! Selbst wenn ich es wollte, dürfte ich es nicht. Als Jakobspilger ist mir nur erlaubt, den Jakobsstab und die Muschel mit mir zu führen, mehr nicht. Dass ich darüber hinaus ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken trage, kommt beinahe schon einer Sünde gleich.«
    »Aber, Pater …«
    »Nein, nein. Es ist schon fast verwerflich, dass ich die gelben Pantoffeln von Euch angenommen habe, wo doch eine Pilgerreise keine Vergnügungsfahrt ist. Nein, nein, Geld kommt überhaupt nicht in Frage.«
    »Aber, Pater, lasst mich doch einmal ausreden! Wenn Ihr das Geld schon nicht für Euch wollt, so nehmt es wenigstens für jemand anderen. Bedenkt, wie leicht Ihr einer armen Seele begegnen könntet, der Ihr eine Mahlzeit kaufen müsst, damit sie nicht verhungert.« Noch immer hielt Vitus das Ledersäckchen hoch.
    »Ich sagte nein.« Der Gottesmann zürnte jetzt fast. »Die arme Seele, von der Ihr sprecht, mag Almosen von anderen bekommen, das ist schließlich gute Christenpflicht; die Pflicht eines Jakobspilgers dagegen ist, in selbst gewählter Armut zur Kathedrale nach Santiago zu pilgern.«
    »Ihr seid ein Mann von hoher Willenskraft.« Vitus lächelte schief und ließ die Hand mit dem Säckchen sinken. »Ich glaube zwar nicht, dass Gott Euch unser kleines Geschenk übel genommen hätte, aber ich verstehe Eure Grundsätze. Tun wir deshalb so, als hätten wir Euch nie etwas von dem schnöden Mammon angeboten. Nochmals von Herzen alles Gute, Gott sei mit Euch.« Er streckte die Hand aus, und Ernesto ergriff sie beherzt.
    »Und mit Euch. Ich werde bei nächster Gelegenheit einen dankesinnigen Rosenkranz für Euch beten.« Dann drehte er sich rasch um und ging, ohne sich noch einmal umzublicken, davon.
    Der kleine Gelehrte sah ihm nach und brummte:

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