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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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mittäglichen Mahl. Haltet ihr es noch so lange ohne eine Speise aus, meine Söhne?«
    Als dies bejaht wurde, fuhr er fort: »Setzt euch auf die Bank dort an der Wand. Cullus wird uns allen einen kühlen Trunk besorgen. Übrigens, um Verwechslungen vorzubeugen: Ich spreche von Wasser, Cullus.«
    »Jawohl, Ehrwürdiger Vater.« Der dicke Mönch setzte die Platte mit den Tintenfässern ab und watschelte eilig nach draußen. Gaudeck blickte ihm nach. »Er und Pater Thomas halfen mir gerade, den Geheimnissen der Sterne wieder ein wenig mehr auf die Spur zu kommen. Thomas als Mathematiker, Cullus mehr als Hausfrau. Er staubt meine Sternenkarten ab und mischt mir neue Tintenfarben an. Ich hatte den Einfall, die Planeten unterschiedlich zu kolorieren und unsere Sonne als heliozentrischem Mittelpunkt in einem leuchtenden Gelb erstrahlen zu lassen. Wie sagte Kopernikus doch so richtig: …
in der Mitte aber von allen steht die Sonne. Denn wer möchte in diesem schönsten Tempel diese Leuchte an einen andern oder bessern Ort setzen, als von wo aus sie das Ganze zugleich erleuchten kann? … So lenkt in der Tat die Sonne, auf dem königlichen Throne sitzend, die sie umkreisende Familie der Gestirne.
Doch was rede ich? Vergessen wir die Himmelskunde, Vitus. Erzähle uns, was dir und deinen Freunden widerfahren ist.«
    »Das will ich gerne tun, Ehrwürdiger Vater. Doch erlaubt mir zuvor eine Frage: Ihr sagtet vorhin, alle hätten schon auf mich gewartet, daraus schließe ich, dass Ihr um meine Ankunft wusstet, was wiederum bedeutet, dass Ihr einen Brief von Professor Girolamo aus Padua erhalten habt. Stimmt das?«
    »Ganz genauso ist es. Vor ein paar Tagen kam ein Kurier und gab eine dicke Tasche bei Pater Thomas ab. Darin: drei Briefe. Einer von Thomas an dich, einer von dem Schlossbediensteten Catfield an dich und einer vom Professor an Thomas. Ich muss sagen, selten haben Botschaften so viel Unruhe in mein Kloster getragen.«
    Pünktlich zum Stichwort Unruhe erschien Cullus wieder auf der Bildfläche, ein großes Tablett mit einer Wasserkanne und mehreren Bechern im Gleichgewicht haltend. »Der kühle Trunk!«, rief er fröhlich. »Wollt Ihr auch, Ehrwürdiger Vater?«
    »Natürlich. Aber schenke erst unseren Gästen ein. Anschließend staubst du weiter meine Himmelskarten ab.«
    »Jawohl, Ehrwürdiger Vater.«
    »Was Vitus uns erzählt, wirst du auch so mitbekommen.«
    »Wie Ihr meint, Ehrwürdiger Vater.« Cullus schenkte allen ein und nahm dann ein Staubtuch, um sich mehreren starken, aufrecht stehenden Pergamentrollen zu widmen.
    Abt Gaudeck, dem Vitus’ fragender Blick nicht entgangen war, sagte: »Es gibt in diesen Mauern Gottesstreiter, die es manchmal versäumen, bei der Komplet zu erscheinen, was natürlich geahndet werden muss. Wie es der Zufall will, kam Bruder Cullus vorgestern auf mich zu und bat darum, meine Karten abstauben zu dürfen, was ich ihm selbstverständlich erlaubt habe. Nicht wahr, Bruder?«
    »Ganz recht, Vater.« Cullus wedelte eifrig mit dem Tuch und murmelte dabei:
»Levi defungor poena«,
was soviel wie »Da bin ich mit leichter Strafe davongekommen« bedeutet.
    Doch er hatte wieder einmal das gute Gehör seines Klostervorstehers unterschätzt, denn dieser antwortete lächelnd: »
Levi poena defungeris.
 – Es wird dich nicht den Kopf kosten.«
    »Danke, Vater.«
    Vitus nahm einen tiefen Schluck und sagte: »Ich möchte nicht unhöflich sein, Ehrwürdiger Vater, aber die Frage nach meiner Herkunft brennt mir doch sehr unter den Nägeln. Könnten wir nicht zuerst darüber reden?«
    Gaudeck fasste sich an den Kopf. »Wie unbedacht von mir! Natürlich muss diese Frage für dich das Wichtigste von der Welt sein. Ja, es gibt in dieser Hinsicht Neues zu berichten. Allerdings: Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll, denn ich kennen deinen Wissensstand nicht.«
    »Ich erhielt Brieftaubenpost von Professor Girolami, in der er mir mitteilte, es gebe eine alte Stoffweberin, die vor Gott und der Welt bezeugen könne, dass ich von meiner Mutter Jean vor dem Nordtor abgelegt wurde. Mehr weiß ich nicht. Das heißt, doch: In dem Brief stand außerdem, die alte Frau sei an Brustfraß erkrankt und ihre Tage seien gezählt.«
    Pater Thomas nickte. »Da hat der Professor das Wesentliche wiedergegeben, was ich an dich schrieb. Du kannst den ganzen Brief, und natürlich auch die beiden anderen, nachher lesen. Sie befinden sich in meiner Zelle. Nun zu der alten Tonia, denn so hieß die Stoffweberin: Leider

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