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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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über die Hintergründe erfahren, zumal er selbst sich eine Zeit lang mit der Geißel auseinander gesetzt hatte, aber das war natürlich nicht möglich. Er musste sich gedulden, bis Vitus auf Campodios erschien. Doch wann würde das sein?
    Thomas schalt sich im Stillen, dass ihm die Geistesgegenwart gefehlt hatte, dem Kurier ein paar weitere Fragen zu stellen. Beispielsweise, von wo er gekommen war und ob er womöglich Vitus auf seinem Weg getroffen hatte … Dann seufzte er. Es war müßig, vergangenen Gelegenheiten nachzutrauern. Sein lebensfroher Mitbruder, der da so angelegentlich den Brief des Professors studierte, hätte das auch nicht getan. »Höre, Cullus«, sagte er laut. »Gib mir das Schreiben, ich will damit zu Abt Gaudeck gehen. Er hat das Recht, als Erster zu erfahren, dass Vitus heimkommt.«
    Cullus las hastig die letzten Zeilen. »Ja, Bruder! Was hältst du davon, wenn ich mitkomme? Ich bin gespannt auf Vater Gaudecks Gesicht, wenn er die große Neuigkeit erfährt.«
    »Nein, ich möchte allein gehen.«
    »Oh, warum soll ich denn hier bleiben?«
    »Du könntest die Komplet sprechen. Was hältst du davon?«
    »Oh, oh, oh.«
    »Oder dich deiner Weinkanne widmen.«
    »Oh, oh … oh, ja! Warum nicht?«
    Pater Thomas konnte ein Grinsen nicht ganz verbergen. »Ich wusste, dass du meinen zweiten Vorschlag nicht ablehnen würdest.«
    Rasch verließ er seine Zelle.
     
    Als Thomas das kleine Studierzimmer von Abt Gaudeck betrat, saß dieser tief gebeugt über einer Reihe von Sternenkarten, an deren Rand er mit spitzer Feder ekliptikale Berechnungen eintrug. Es waren neue Ergebnisse, bedingt durch die veränderten März-Konstellationen am nördlichen Himmelszelt, und sie waren bedeutsam. So bedeutsam, dass er sie baldmöglichst einem jungen dänischen Astronomen namens Tycho Brahe, mit dem er in ständiger Korrespondenz stand, mitteilen wollte.
    »Störe ich, Ehrwürdiger Vater?«
    Gaudeck, groß, kräftig, um die fünfzig und alles andere als der Abklatsch eines gewöhnlichen Mönchs, blickte auf. Über sein Gesicht huschte ein Lächeln. »Du störst nie, Thomas. Tritt näher.«
    »Danke, Ehrwürdiger Vater.«
    »Und sage nicht ständig ›Ehrwürdiger Vater‹ zu mir. Du bist mindestens zehn Jahre älter als ich. Außerdem sind wir unter uns.« Der Abt legte die Feder beiseite. »Was kann ich für dich tun?«
    Thomas wusste nicht recht, wie er anfangen sollte. Eben noch hatte er die frohe Botschaft von Vitus’ baldiger Ankunft auf den Lippen gehabt, doch jetzt, in der konzentrierten Atmosphäre des Studierzimmers, besann er sich eines anderen. Deshalb sagte er zunächst: »Es tut mir Leid, dass ich vorhin die Komplet versäumt habe.«
    »Du wirst deine Gründe gehabt haben. Triftige sicherlich.« Gaudeck machte keine Anstalten zu fragen, welcher Art die Gründe gewesen sein mochten, dafür war das Verhältnis zwischen ihm und seinem Prior zu vertrauensvoll.
    »In der Tat. Es gab da etwas, dass mich davon abgehalten hat. Hier, dieses Papier.« Thomas hatte sich entschieden, keine langen Worte zu machen, denn Gaudeck war nicht nur Abt, sondern genau wie er auch Wissenschaftler – und als solcher verabscheute er überflüssiges Herumgerede und Schwafeleien.
    »Wie kann ein Papier dich vom Besuch der Komplet abhalten?«
    »Lies, vielleicht verstehst du mich dann.«
    Gaudeck nahm den Brief entgegen und vertiefte sich in seinen Inhalt. Thomas wartete gespannt. Endlich gab der Abt das Schreiben zurück. »Die Nachricht macht mich glücklich und traurig zugleich«, sagte er.
    »Glücklich und traurig zugleich?«
    »Ja, so ist es. Doch setz dich erst einmal. Du stehst ja vor mir wie einer deiner Schüler.«
    Thomas gehorchte stumm.
    »Glücklich macht mich der Brief, weil Vitus lebt. Zwar drang in den vergangenen vier Jahren immer mal wieder Kunde von ihm nach Campodios, aber die Welt da draußen ist voller Gefahren. Eine davon ist die alles verheerende Pestis, der er nur knapp entronnen zu sein scheint.
Deo gratias!
Wie der Professor schreibt, hat er sogar die Ursache der Geißel entdeckt. Sollte das wirklich stimmen, hat dein ehemaliger Lieblingsschüler eine Tat vollbracht, deren Bedeutung heute noch gar nicht abzusehen ist. Auch das macht mich glücklich.«
    »Und was stimmt dich traurig, Bruder?«
    Gaudeck lehnte sich zurück und begann mit einem Federmesser zu spielen. »Traurig stimmt mich, dass die alte Tonia tot ist. Was sie uns gebeichtet hat, kann sie Vitus nun nicht mehr selber sagen.«
    Pater Thomas

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