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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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erlaubt, dieselbe Segeltuchtasche als Beförderungsmittel zu verwenden, die schon ein gewisser Catfield benutzte, um Euren Brief weiter nach Tanger zu schicken – zusammen mit seinem eigenen Begleitschreiben. Beide Schriftstücke dürften eine abenteuerliche Reise hinter sich haben …
    »Bruder! Bruder! Da bin ich wieder!«
    Thomas schreckte hoch und erkannte Cullus im Türrahmen, freudig erregt eine Weinkanne schwenkend. »Was hat das nun wieder zu bedeuten? Ich denke, du bist zur Komplet geeilt und hast mich dort entschuldigt?«
    Cullus’ Schweinsäuglein blickten vergnügt. »Das wollte ich auch, das wollte ich auch! Doch dann habe ich es mir anders überlegt. Es ist nicht richtig, sagte ich mir, so viele Brüder vom Stundengebet abzuhalten, denn zweifellos hätte ich dies getan, wenn ich mit der großen Neuigkeit herausgeplatzt wäre.«
    »Aha. Deine Argumentation ist spitzfindig, aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Und was willst du mit der Weinkanne?«
    »Die Weinkanne? Oh, ich dachte, ein so freudiges Ereignis wie Vitus’ Rückkehr ist wohl ein Schlückchen wert, findest du nicht?« Cullus ließ sich Zoll für Zoll auf einen Schemel am Tisch nieder. Die Vorsicht war nicht unberechtigt, denn schon so manches Gestühl hatte unverhofft unter seinem Gewicht nachgegeben. »Hier, Thomas, nimm einen Becher, ich habe den Rebensaft stark verdünnt, damit du ihn nicht verschmähst.«
    »In Gottes Namen. Du gibst ja ohnehin vorher keine Ruhe.« Thomas trank einen kleinen Schluck.
    Cullus trank einen großen.
    »Sage, Bruder, was schreibt Vitus denn?«
    »Nicht Vitus hat mir geschrieben, sondern ein gewisser Professor Girolamo aus Padua. Doch nun lass mich endlich meinen Brief zu Ende lesen. Hier, nimm das Schreiben, das ich ursprünglich an Vitus gerichtet habe. Du erinnerst dich? Ich hatte ihm vor einem Jahr mitgeteilt, dass die Nebel über seiner Herkunft sich gottlob endgültig gelüftet haben. Die alte Tonia ist darin erwähnt, dazu ihre Aussage über Vitus’ Mutter, und so weiter und so weiter. Lies nur, damit ich Ruhe habe.« Abermals suchte Pater Thomas die Stelle, an der er unterbrochen worden war:
    … Beide Schriftstücke dürften eine abenteuerliche Reise hinter sich haben, wenn man den vielen absonderlichen Vermerken Glauben schenkt. Es grenzt an ein Wunder, dass die Nachrichten auf so verschlungenen Wegen am Ende in Padua angelangt sind. Gelobt sei der Allmächtige in der Höhe!
    Gestattet mir, zu guter Letzt noch einmal auf das Werk
De Causis Pestis
zurückzukommen. Das Einverständnis des Cirurgicus voraussetzend, werde ich Euch, hochverehrter Herr Kollege, ein Exemplar dieses außergewöhnlichen Buches senden und freue mich schon heute auf Eure Stellungnahme.
    Grüßt mir von ganzem Herzen Vitus von Campodios – oder muss ich schon »Lord Collincourt« sagen? –, dessen gesunde Ankunft in Eurem Kloster ich jeden Tag von Gott erflehe.
    Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Euer
    Mercurio Girolamo
Professor an der Universität zu Padua
    Padua, 29. Dezember, Anno Domini 1579
    Pater Thomas ließ das Schreiben sinken und wollte etwas sagen, doch sein dicker Mitbruder kam ihm zuvor, indem er sich beschwerte:
    »Das, was in diesem Brief steht, ist mir doch alles wohlbekannt. Ein jeder in Campodios weiß es. Was ist denn der Inhalt deines Schreibens, Bruder?«
    Thomas reichte wortlos das schwere Papier hinüber und nahm sich nun die Zeilen von Catfield vor. Wie er sich schon gedacht hatte, verlieh der Engländer, welcher im Übrigen der Verwalter des Schlosses und sämtlicher Ländereien zu sein schien, seinem Bedauern Ausdruck, dass die Botschaft aus Spanien seinen Herrn nicht mehr erreicht habe und dieser sich vielmehr schon auf der Seereise nach Tanger befinde. Er habe sich deshalb entschlossen, die Nachricht so rasch wie möglich hinterherzusenden …
    Thomas blickte auf. Diesmal war er eher fertig als der wissensdurstige Cullus. Der dicke Mönch saß mit großen Kulleraugen über dem Geschriebenen und schien Zeit und Raum vergessen zu haben.
    Thomas gönnte sich einen weiteren Schluck Wein. In einem hatte Cullus wirklich Recht: Dies war ein außergewöhnlicher Tag, einer, der es wahrhaft wert war, einen guten Tropfen zu trinken, nicht zuletzt wegen der hochinteressanten Ausführungen Girolamos über die Pestis. Was hatte der Kollege geschrieben? Der Verursacher sei nichts weiter als ein kleiner Floh? Thomas’ wissenschaftliche Neugier war erwacht. Gern hätte er mehr

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