Die Mission des Wanderchirurgen
hatten, nur sie nicht. »Wui, mein Schäfchen is schwächerlich, ich holm, der Bartmann muss ran. Adschüss, die Herrn, seh euch nachher beim Schnappen.« Sprach’s und verschwand mit Klein-Nella.
Kaum war die Tür hinter ihm zugeschlagen, ging sie auch schon wieder auf. Ein Bruder aus der Küche stand da, blickte zu Boden und fragte demütig: »Verzeiht die Störung, Ehrwürdiger Vater, die Sext hat begonnen und ist bereits gesprochen. Bruder Festus lässt fragen, ob er zum Mittagsmahl mit Euch rechnen darf.«
»Was? So spät schon?« Gaudecks Blick glitt zum Stundenglas an der Wand, das bereits durchgelaufen war. Hastig trank er seinen Becher aus. »
Tempus avis est!
Sage dem Küchenmeister, wir seien auf dem Weg. Er möge genügend Teller aufdecken lassen. Wir sind zu fünft, nein, zu sechst. Der Zwerg Enano kommt sicher noch nach.«
Eiligst begaben sie sich zum Hauptgebäude des alten Klosters, in dem das weitläufige Refektorium lag. Bruder Festus, der wegen seines tonnenförmigen Leibes von allen
Cupa dicens,
das sprechende Fass, genannt wurde, stand die Freude ins Gesicht geschrieben, als er Vitus’ angesichtig wurde. »Weißt du noch, was ich dir mit auf den Weg gegeben habe, als du uns vor vier Jahren verließest, mein Sohn?«, dröhnte er.
»Ja, du sagtest, Essen hält Leib und Leele zusammen, daran möge ich denken, sollte es mir im Leben einmal schlecht ergehen.«
»Was? Sagte ich das? Hahaha! Ich meinte eigentlich eher den Kapaun, den ich dir heimlich zusteckte. Habe damit gegen die Fastengesetze verstoßen und es bis heute nicht gebeichtet.«
Der Magister grinste. »Man könnte in Erwägung ziehen, ob Eure Missetat inzwischen verjährt ist.«
»Verjährt? Hoho! Das ist gut! Hast du das gehört, Gaudeck, äh, Verzeihung, Ehrwürdiger Vater?«
»Ja, das habe ich.« Gaudecks sanfte Stimme stand in starkem Kontrast zu
Cupa dicens’
lautem Gepolter. »Ich denke, wir sollten uns jetzt setzen, die anderen Brüder schauen schon zu uns herüber.« Laut rief er: »Esst nur weiter, meine Söhne, lasst euch nicht stören!«
Festus hatte sich unaufgefordert mit an den Tisch gesetzt. »Da ist so ein merkwürdiger Zwerg, der krauses Zeug redet, gehört der auch zu dir, Vitus?«, fragte er. »Der Wicht ist gerade dabei, die ganze Küche rebellisch zu machen, weil er Milchbrei für sein Kind will.«
»Ja«, sagte Vitus, der sah, wie dunkle Wolken über Gaudecks Stirn auftauchten.
Da sprach der Abt auch schon: »
Ede et tace,
so soll es bei Tische zugehen, hast du das vergessen, Festus? Wenn du uns nichts zu essen bringst, schweige wenigstens.«
»Verzeihung, Ehrwürdiger Vater!« Das Fass wuchtete seine schwere Gestalt empor und eilte in die Küche. Wenig später dirigierte der Küchenmeister zwei Brüder vor sich her, die ein Tablett wie eine Tischplatte trugen, darauf das, was Festus an diesem Tage zu bieten hatte. »Es ist nur karge Fastenkost, Vitus«, dröhnte er, »es scheint, wir kommen immer dann zueinander, wenn Schmalhans Küchenmeister ist. Du und deine Freunde, ihr müsst euch mit Lauchsuppe und gebackenem Salm zufrieden geben. Auch eine Pilzpastete mit Karottenwürfelchen wäre da. Oder ein kleiner Gemüseauflauf, allerdings ohne meine berühmten Schweinefinnen.«
»Wui, kein Speck vom Wurzelgraber? Nur Windsuppe un Grätlinge?« Der Zwerg war unbemerkt herangehuscht. »Nu, Hauptsach, mein Schäfchen is schnoll, nich? Killekille und böpp, mach böpp, mach knäbbig böpp!«
Gaudeck räusperte sich. Die gebotene Ruhe bei der Einnahme des Mittagsmahls war nun schon so oft durchbrochen worden, dass er einschreiten musste. »Enano von Askunesien«, sagte er, »ich wäre Euch verbunden, wenn Ihr das Bäuerchen Eures Sprösslings draußen im Klosterhof hervorlocken könntet. Auch wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr das Kind nicht hier im Saale windeln würdet.«
Der Zwerg, der sich noch gar nicht gesetzt hatte, rollte mit den Äuglein und fistelte: »Wui, zu Befehl, ehrwürdiger Abtmann. Fitzen Dampffetz noch. Bin geglichen wieder da!«
Gaudeck atmete auf. Er nahm ein großes Messer zur Hand, auf dessen Klinge eine zweizeilige Dankeshymne eingeritzt war, die vor jeder Speiseeinnahme gesungen wurde. Das Messer war alt, weshalb die Noten und der Text nur noch schwer zu erkennen waren. Die Worte lauteten:
Gratiarum actio
protuis beneficiis Deus gratias agimus tibi
Sie drückten den Dank für die Wohltaten des Herrn aus. Ein solches Messer hatte jeder Mönch vor sich auf dem Tisch liegen; es stellte
Weitere Kostenlose Bücher