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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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hast einen so genannten Kugelholer vor dir. Es ist ein Gerät, wie es häufig auf spanischen Schiffen Verwendung findet. Ist ein Mann im Kampf getroffen, senkt man die Zange vorsichtig in den Schusskanal, versucht, die Kugel zu umgreifen und zieht sie anschließend heraus. In Frankreich und Deutschland benutzt man häufiger Schraubpfeilzangen, aber leider besitze ich ein solches Exemplar nicht. Aber egal, welches Gerät man benutzt: Nicht selten klebt danach noch ein Stück Stoff an dem Geschoss.«
    Nina nickte und betätigte mehrmals den Mechanismus des Kugelholers. »Es müssen furchtbare Schmerzen sein, die beim Gebrauch entstehen.«
    »Das stimmt leider. Doch häufig sind die Torturen gar nicht so groß, weil der Verletzte unter Schock steht. Schlimmer wird es erst später. Sieh her, dann kommt dieses Kännchen zur Anwendung.« Er hielt ein Zinnbehältnis mit langer, schlanker Tülle hoch.
    »Wie kann ein Kännchen Schmerzen verursachen?«
    »Das Kännchen nicht, aber sein Inhalt. Man verwahrt darin siedendes Öl, um die Schusswunde damit auszugießen. Die Pein, die dabei entsteht, ist so groß, dass manch ein Verletzter das Bewusstsein verliert. Dennoch ist die Prozedur notwendig, um Wundbrand zu vermeiden.«
    »Ähnlich wie beim Kautern?« Nina erinnerte sich an die Brustfraß-Operation, die sie zusammen mit Pater Thomas an der alten Tonia durchgeführt hatte.
    »Ja, genau. Beide Methoden sind mörderisch, aber leider kennt die Wissenschaft noch kein besseres Mittel, um einer Blutvergiftung vorzubeugen. Immerhin gibt es einen französischen Arzt namens Ambroise Paré, der behauptet, man könne Schusswunden auch mit einer Salbe aus Eidotter, Rosenöl und Terpentin behandeln. Ob das Siedeverfahren mit Öl damit ausgedient hat, steht dahin. Wie stets streiten sich die Gelehrten darüber. Doch nun zu einem anderen Gerät: Es sieht aus wie ein Dreibein, in dessen Mitte ein kleiner Stangenbohrer steckt. Weißt du, worum es sich dabei handelt?«
    »Nein, ich habe keine Ahnung.«
    Vitus freute sich, dass dem so war, hatte er dadurch doch Gelegenheit, einmal mehr sein Wissen unter Beweis zu stellen. »Das ist ein Elevator. Er dient dazu, eingedrückte Schädelknochen anzuheben. Die Spitze des Bohrers wird vorsichtig in den Knochen gedreht, bis sie fest sitzt. Dabei ist darauf zu achten, dass auf keinen Fall die Hirnhaut verletzt werden darf. Anschließend wird der Bohrer mit Hilfe seines Schaftgewindes langsam nach oben geholt; die drei Beine stehen dabei auf dem Schädel und geben ihm Halt.«
    Nina drehte an der großen Flügelmutter am Bohrerende. Es war offensichtlich, dass sie das Zusammenwirken der Teile verstanden hatte. »Und was ist das?«, fragte sie.
    »Das ist eine Klistierspritze. Das Klistier befindet sich in diesem Fall in einer Schafsblase.«
    »So ein Ding benutzt doch auch der Zwerg, um sein Töchterchen zu füttern?«
    »Ganz recht. Allerdings wird das Gerät damit zweckentfremdet, eigentlich ist es dazu da, Heilflüssigkeit in Körperöffnungen zu spritzen, in Nase, Ohren und, nun ja, du weißt schon, was da noch in Frage kommt.«
    Nina lächelte. »Das weiß ich. Warum ist es dir eigentlich unangenehm, zu sagen, dass so eine Spritze in den Po gesteckt wird?«
    »Tja, hm. Ich bin ein wenig befangen. Vielleicht liegt es daran, dass du … dass du …«
    »Ja, was denn?« Sie strahlte ihn an.
    »Dass du so hübsch bist.« Kaum war es heraus, hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen.
    »Oh, das hast du aber lieb gesagt.« Sie legte ihre Hand, die glatt und kühl war, auf seine, und er hatte das Gefühl, als flösse durch sie ein Strom des Glücks auf ihn über. Er wollte ihre Hand drücken, aber er unterließ es. Wenn er doch nur nicht immer so schüchtern wäre. Schüchtern? Unsinn. Sie war Orantes’ Tochter, ein halbes Kind noch, und er war Cirurgicus. Wie oft hatte er sich das in den vergangenen Tagen gesagt.
    »Tja, äh, wo war ich stehen geblieben?« Er kramte seine Gedanken zusammen und hoffte, sie würde ihre Hand noch ein wenig auf seiner liegen lassen. Wider Erwarten tat sie es. Wahrscheinlich unbeabsichtigt, aus reinem Zufall. »Äh, so ein Klistier kann auch Verwendung für eine Infusion finden.«
    »Ja?«
    »Ja. Du weißt, was eine Infusion ist?«
    »Ja.«
    »Schön.« Ihm fiel ein, dass er mit einem ähnlichen Gerät einst Antonio vor dem Verbluten gerettet hatte. Er hatte Lupo Blut abgenommen, dieses ins Klistier gefüllt und den Inhalt in Antonios offene Ader gepresst. Langsam

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