Die Mission des Wanderchirurgen
rechten Weges
Maah el-sabil
war auch hier in der Stadt in Krügen oder Amphoren zu finden. Doch dann hatte sich der Hunger gemeldet. Der Duft der Garküchen war ihnen verführerisch in die Nase gestiegen, und sie hätten viel für etwas Gemüse oder Hirse gegeben, aber sie hatten ja kein Geld, und um Almosen bitten wollten sie auch nicht.
Ein Versuch des Magisters, als Geschichtenerzähler aufzutreten und ein paar Münzen zu verdienen, war ebenfalls kläglich gescheitert. In Fez, welches über hundertdreißig Meilen von Tanger entfernt im Landesinneren lag, verstand man kaum Portugiesisch oder Spanisch, und schon gar nicht Englisch.
Auf ihrer Suche nach etwas Essbarem hatte es sie weiter und weiter getrieben in die unentwirrbar ineinander verschachtelten Häuser. Zwischendurch waren sie immer wieder auf größere Plätze gestoßen, auf denen das Leben pulsierte, im Mittelpunkt meist eine Moschee, wie die Djemma el-Mulei Edris oder die Djemma Karubin. Auch an islamischen Schulen waren sie vorbeigekommen, etwa der Medrese el-Seffarine oder der Medrese el-Attarine. Sich fortzubewegen hatte sich immer wieder als äußerst beschwerlich erwiesen, und häufig genug hatten sie ihre Schritte weder nach vorn noch nach hinten lenken können, wenn sie erneut in einen Eselsstau geraten waren. Ab und zu wurden sie in einem Gedränge sogar eher geschoben, als dass sie selbst gingen. Handwerker, Gewürzhändler, Gaukler, Seiltänzer, Schlangenbeschwörer, Flötenspieler, Hornbläser und Trommler waren ihnen begegnet, und schließlich landeten sie im Viertel der Gerber und Färber.
Doch bevor sie es betraten, gelang es dem Magister endlich, einen Spanisch sprechenden Schreiber aufzutreiben und ihn davon zu überzeugen, dass er ein gutes Werk täte, ihm seinen Brief nicht nur umsonst vorzulesen, sondern auch zu übersetzen. Die Nachricht war kurz und aufschlussreich:
An den Geschichtenerzähler und Schachspieler.
Wenn du dieses liest, wird die Karawane schon wieder unterwegs sein. Du und deine Freunde, ihr seid von nun an freie Männer. Fürchte nichts. Man wird euch nicht verfolgen. Dafür ist gesorgt.
Möge Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, euch mit Hilfe des Korans auf den rechten Pfad des Glaubens führen.
Salam alaikum.
Jemand, der genauso kurzsichtig ist wie du.
Der Brief trug keine Unterschrift, aber der Magister wusste auch so, wer der Absender war. Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit durchflutete ihn, als er sich die Zeilen wieder und wieder vorlesen ließ, so lange, bis der Schreiber unmutig wurde und nun doch Geld verlangte.
Der kleine Gelehrte beruhigte ihn. »Geld habe ich nicht, mein Freund, ich sagte es dir bereits, aber du hast ein Allah gefälliges Werk getan. Das muss dir genügen. Ich wünsche dir gute Geschäfte, mögen dich viele Analphabeten aufsuchen.«
Beschwingt, wenn auch immer noch hungrig drangen die Freunde weiter vor und erblickten alsbald zahllose Farbbottiche, bunt wie eine Malerpalette und angeordnet wie Bienenwaben – nur dass sie nicht eckig, sondern rund waren. Darin standen Männer bis zu den Hüften im Färbesud und walkten frisch gegerbte Häute. Auffällig war, dass in vielen Bottichen gelbe Färbeflüssigkeit schwamm und demzufolge große Mengen an gelbem Leder hergestellt wurden.
Sie gingen weiter und kamen zu den Gerbern, die ebenfalls mit Bottichen arbeiteten. Es waren hier aber ummauerte Becken, in denen sich scharfe Gerbsäure befand. Gerade wollten sie sich einem solchen Behälter nähern, da erklangen hinter ihnen laute Rufe, und sie wurden von kräftigen Dienern unsanft beiseite gestoßen. »Platz da, Leute! Platz für den edlen Hadschi Moktar Bônali! So geht doch endlich zur Seite, Sîdi Moktar hat es eilig.«
Die Menge teilte sich, und ein zierlicher, aufs Prächtigste gekleideter Mann wurde sichtbar. Er trug eine dreißigfach geknöpfte, kirschrote Weste aus feinster Shandongseide, ein linnenes weißes Hemd mit üppiger Kragenspitze, einen resedagrünen Gürtel, der wie eine Schärpe aussah, eine Pluderhose von indigofarbenem Ton und safrangelbes Schuhwerk. Als krönenden Abschluss hatte er um seinen Fez einen orangefarbenen Turban gewickelt, dessen Ausmaße eines Sultans würdig gewesen wären.
»Der Mann erinnert mich an die Papageien, denen wir in Neu-Spanien begegnet sind«, sagte der Magister grinsend.
Vitus wollte etwas antworten, kam aber nicht dazu, denn in diesem Augenblick wurde er ein weiteres Stück zurückgedrängt. Der bunt gekleidete, zierliche
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