Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Dank, mein Sohn«, krächzte er. »Aber wie komme ich zu der Ehre?«
    In holprigem Spanisch antwortete der Knabe: »Das hier ist für dich.« Er zog ein in Papyrus gewickeltes Paket aus den Falten seines Gewandes und übergab es. »Mach es auf, ich habe Auftrag, zu warten, bis du es geöffnet hast.«
    »Auftrag? Von wem?«
    »Das darf ich nicht sagen.«
    Die Lebensgeister des Magisters begannen sich zu regen. »Wer hat dir erlaubt, meine Fesseln zu durchtrennen?«, begehrte er zu wissen.
    »Auch das darf ich nicht sagen.«
    Vitus fuhr dazwischen: »Magister, sieh nur, unser Wachtposten ist verschwunden!«
    »Der Mann mit der Muskete?« Der kleine Gelehrte blinzelte. »Vielleicht uriniert er irgendwo in der Hocke wie alle Kameltreiber?«
    »Nein, nein, er ist fort!« Vitus erhob sich zum ersten Mal an diesem Tag zu voller Höhe und hielt dem Knaben auch seine gefesselten Hände hin. »Befreie mich wie den Magister.«
    Der Junge zögerte. »Ich habe nur Auftrag, dem, der häufig blinzelt, die Fesseln zu durchschneiden«, sagte er, tat dann aber doch, wie ihm geheißen. Nachdem er nacheinander alle Sklaven befreit hatte, wiederholte er seine Forderung, der Magister möge das Paket öffnen.
    Der kleine Gelehrte, mittlerweile ebenfalls stehend, nestelte an dem Band herum, zog es schließlich ab und entfernte die Hülle. Ein Buch und ein Brief traten zu Tage. »Nanu?«, rief er, »welch nette Überraschung, nur leider kann ich beides nicht lesen. Es ist Arabisch. Mein Sohn, kannst du als Überbringer mir vielleicht helfen?«
    »Ich fürchte, nein, Herr. Ich kann ebenfalls nicht lesen, aber ich weiß, dass es sich bei dem Buch um unseren Heiligen Koran handelt.«
    »Um den Koran? Wer, um Himmels willen, schickt mir den Koran?« Alle Freunde umringten mittlerweile den kleinen Gelehrten, der das Buch mehrmals durchblätterte, aber nirgendwo ein vertrautes Schriftzeichen fand.
    »Wir hier in Fez schlagen ein Buch von der anderen Seite auf, Herr.«
    »Wie? Ach ja, davon habe ich gehört. Nur wird es mir nichts nützen. Egal, wo ich anfange, für mich stehen auf den Seiten nur hieroglyphische Figuren. Dasselbe gilt für den Brief.«
    Alle betrachteten das schöne, unbekannte Schriftbild. Vitus sagte: »Wir müssen jemanden finden, der uns den Text der Nachricht vorlesen kann, das heißt, wir müssen den Hof verlassen.« Er blickte auf und bemerkte zu seiner Überraschung, dass der Knabe spurlos verschwunden war. Langsam dämmerte ihm etwas. Die Tatsache, dass jemand ihnen die Fesseln durchschnitten hatte, dass darüber hinaus der Wachtposten fort war und dass – in diesem Augenblick erkannte er es – so viele Kamele den Hof verlassen hatten, ließ nur einen einzigen Schluss zu: Die Karawane des Khabirs Hadschi Abdel Ubaidi war aufgebrochen. Sie befand sich auf dem Weg zurück nach Tanger.
    Und sie selbst waren frei!
    »Wir sind frei!«, rief er. »Frei, frei!«
    Es dauerte etwas, bis die anderen seine Gedankengänge nachvollzogen hatten, doch dann jubelten sie genauso laut.
    »Und nun?«, fragte der praktisch veranlagte Magister, als sich die erste Aufregung gelegt hatte. »Was soll aus uns werden? Wir laufen in Sack und Asche und haben keinen müden Maravedi, oder was auch immer in dieser Stadt als Zahlungsmittel dient, und außerdem kennen wir uns überhaupt nicht in Fez aus. Da können wir auch gleich hier bleiben.«
    »Nein, wir gehen«, entschied Vitus. »Und zwar noch in diesem Moment. Ich will nicht, dass jemand kommt und sich einbildet, er müsse uns aus irgendeinem Grund zurückhalten.«
    In der Tat kamen, kaum dass er dies gesagt hatte, einige Burschen von der Straße in den Hof und liefen direkt auf sie zu. Doch es waren, wie sich herausstellte, nur Wasserträger, die zur Zisterne strebten, um dort ihre Eimer zu entleeren. Sie taten es, ohne sich um die Freunde auch nur einen Deut zu scheren, denn es war ein mühsames und kräfteraubendes Unterfangen, das Auffangbecken auf diese Weise zu füllen. Andererseits blieb gar keine andere Wahl, wollte man nicht, dass Pferde und Maultiere jämmerlich verdursteten.
    Vitus hatte schon die Kiepe geschultert und griff zu seinem Stecken. »Folgt mir, Freunde. Wem immer wir unsere Freiheit verdanken, er wird nicht wollen, dass wir länger als notwendig hier herumsitzen.«
    Beflügelt verließen die ehemaligen Sklaven den Hof.
     
    Seit sie die Herberge
al-Haqq
verlassen hatten, waren mehrere Stunden vergangen. Sie hatten zunächst ihren Durst gestillt, denn das Wasser des

Weitere Kostenlose Bücher