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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Sîdi Chakir sie. Über seiner Nasenwurzel hatte sich eine tiefe Falte gebildet, die eine unübersehbare Warnung für jeden war, der ihn kannte. Wenn sie sich zeigte, war Vorsicht geboten, äußerste Vorsicht, und das wusste auch die Gebieterin Âmina. Gehorsam griff sie deshalb in die Schale mit Naschwerk, die auf einem Beistelltischchen bereitstand.
    Der Khabir hatte mit Genugtuung bemerkt, dass sein Herr sich die Gesprächsführung nicht aus der Hand nehmen ließ. Er war zwar ein großzügiger Ehemann, aber das Sagen im Hause Efsâneh hatte nur einer: Sîdi Chakir.
    »Nun, ich überbringe gute und weniger gute Nachrichten. Ich möchte es deiner Weisheit überlassen, oh, Herr, zu entscheiden, welche du zuerst hören willst.«
    »Du machst es spannend, Hadschi Abdel Ubaidi. Doch immerhin: beginne mit den weniger guten.«
    Der Khabir räusperte sich. Jetzt kam es darauf an. Wieder und wieder hatte er sich die Worte, die er sagen wollte, zurechtgelegt, doch nun waren sie fortgeweht wie Drinngras in der Wüste.
    »Nun, Hadschi?«
    »Herr, es tut mir Leid, melden zu müssen, dass Menschenleben zu beklagen sind.«
    »Menschenleben? Wer ist denn tot?«
    Der Khabir wappnete sich. »Die sechs Sklaven, Herr, die deine Gemahlin mit der Karawane nach Fez schicken ließ.«
    »Nein!« Die Gebieterin war aufgesprungen. »Das darf nicht wahr sein!«
    »Iss deine kandierten Früchte weiter.« Sîdi Chakir zog seine zornige Gemahlin zurück auf den Diwan. Die Falte über seiner Nasenwurzel erschien wieder, und diesmal verschwand sie nicht, denn die Gebieterin hatte ihm natürlich gebeichtet, welch eine Unsumme er für die sechs von ihr erworbenen Sklaven bezahlen musste. Verschleudertes, zum Fenster hinausgeworfenes Geld! Zudem ein Verlust, der nun nicht einmal mehr durch die Arbeitsleistung der Menschenware abgeschwächt werden konnte. Aber wenn Chakir Efsâneh eines in den langen Jahren seiner Handelstätigkeit gelernt hatte, dann war es das: Jammere niemals einem schlechten Geschäft hinterher, du machst es dadurch nicht besser!
    Und daran hielt er sich auch heute. Er wandte sich wieder seinem Karawanenführer zu. »Fahre fort, mein Freund.«
    Der Khabir atmete auf. Sîdi Chakir hatte ihn, wie immer, wenn er ihm wohlgesinnt war, »mein Freund« genannt. »Die Sklaven, oh, Herr, wurden von Aziz el-Mamud, deinem Oberaufseher der Palmenhaine, in die Foggara geführt. Er wollte sich vergewissern, dass sie dort an der richtigen Stelle eingesetzt würden. Dann passierte das Unglück.«
    »Welches Unglück?«
    »Leider ein sehr alltägliches. Die Abstützung des Ganges gab nach, und die herabstürzenden Erdmassen begruben ihn und die Sklaven. Auch er ist an diesem Tag zu Tode gekommen.«
    Die Falte über der Nasenwurzel glättete sich wieder. »Soso, also auch Aziz el-Mamud.« Der Verlust des Oberaufsehers war bei Weitem nicht so tragisch. Er war ein freier Mann gewesen und hatte demzufolge auch kein Geld gekostet. Überdies hatte sein Arbeitseifer in der letzten Zeit zu wünschen übrig gelassen.
    »So, so, also auch Aziz el-Mamud«, wiederholte der Hausherr. Er würde einen neuen Oberaufseher ernennen, einen, der jünger und fleißiger war. Und natürlich auch billiger. »Hat Aziz el-Mamud wenigstens ein Begräbnis erhalten, wie es einem frommen Muselmanen zukommt?«
    »Das war leider nicht möglich. Die Körper der Toten liegen so tief im Erdreich, dass es Monate dauern würde, sie auszugraben.«
    »Nun ja.« Sîdi Chakir dachte noch einmal kurz an die Sklaven, verschwendete aber weiter keinen Gedanken an ihr Seelenheil, schließlich waren es Ungläubige. Ihm fiel ein, dass der Khabir auch von guten Nachrichten gesprochen hatte. »Aber du hast auch angenehme Kunde, so sagtest du?«
    »Ja, Herr. Ich bin froh, dir berichten zu können, dass der Verkauf deiner Waren in Fez unter einem glücklichen Stern stand. Viele Gegenstände habe ich mit hundert und zweihundert Prozent Gewinn veräußern können, ja, manche sogar mit vierhundert, darunter Roheisen und Seide. Die genaue Abrechnung folgt morgen.«
    »Bei Allah, das nenne ich eine gute Nachricht! Hätte ich sie nur zuerst gehört.« Als erfahrener Kaufmann hatte Sîdi Chakir sofort überschlagen, dass der durch die Karawane erzielte Gewinn den Verlust der Sklaven einigermaßen wettmachte. Wahrscheinlich würde die genaue Überprüfung sogar ein kleines Plus ergeben. »Ich werde mich erkenntlich zeigen, mein Freund!«
    Der Khabir nahm all seinen Mut zusammen und nutzte die Gunst des

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