Die Mission des Wanderchirurgen
nur freundlich.
»Nehmen wir an, ich würde mich doch für sie interessieren, obwohl sie, wie du selbst zugegeben hast, erheblich kleiner ist als meine alte.«
»Gut, nehmen wir das an.«
»Nun, in diesem Fall würde ich dir ein Angebot machen, das höchstens halb so hoch liegt, wie der Betrag, den du dir vorstellst. Wie viel, äh, hattest du dir denn vorgestellt?«
»Lass mich überlegen.« Vitus legte die Stirn in Falten und schien angestrengt zu grübeln. »Ich dachte, du gibst mir …«
»Ja, sag es nur, sag es nur, also, wie viel?«
»Nichts.«
»Was? Nichts?« Sîdi Moktar riss den Mund so weit auf, dass seine wenigen braunen Zähne sichtbar wurden. »Du beliebst zu scherzen, Cirurgicus. Nichts, das kann nicht sein! Das kannst du mir nicht zumuten! Ich verlöre meinen Ruf als untadeligen Kaufmann, wenn ich die Lupe ohne Gegenleistung annähme.«
»Ich verlange nichts außer dem, was ich ohnehin von dir erbeten hätte: deine Gastfreundschaft. Gib mir und meinen Freunden Speise und Trank und ein Dach über dem Kopf, bis wir so weit sind und uns selber weiterhelfen können.«
Die Bitte des Cirurgicus, das erkannte Sîdi Moktar im Bruchteil eines Augenblicks, war ein äußerst geschickter Schachzug. Zwar schlug sein Begehren auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch zu Buche, konnte sich aber mit der Zeit als außerordentlich kostspielig erweisen. Dann nämlich, wenn er und seine Freunde zu Dauergästen wurden. Doch niemand durfte ihnen das verwehren. Die ehernen Gesetze der Gastfreundschaft wollten es so. Rasch überlegte Sîdi Moktar, ob er nicht einfach von der neuen Lupe Abstand nehmen sollte, aber auch das nützte ihm wenig. Der Cirurgicus hatte in aller Öffentlichkeit um barmherzige Aufnahme gebeten, und es war undenkbar, sie ihm abzuschlagen. Wie ungewöhnlich scharfsinnig der Mann vorgegangen war! Laut sagte der zierliche Handelsherr:
»Selbstverständlich werden du und deine Freunde an meinem Tisch einen Platz finden, und wenn du darüber hinaus nichts für die Lupe willst, so kann ich dich nicht zwingen, mein Geld anzunehmen. Aber erlaube mir, meine Geschäfte zu Ende zu bringen. Ich lade dich und deine Freunde ein, mich zu begleiten. Doch lasst euch zuvor etwas gegen den unerträglichen Gerbgestank geben.«
Was er damit meinte, wurde sogleich klar, denn einer seiner Diener trat herbei, aufgerollte Minzblätter in den Händen haltend, und hieß die Freunde, sich diese in die Nasenlöcher zu stopfen. Sie taten es und stellten fest, dass der frische Geruch den Schleimhäuten tatsächlich Entlastung brachte.
Nun erlebten Vitus und seine Freunde, welch ein geschickter Kaufmann der zierliche Sîdi Moktar war. Mit Hilfe der Lupe sonderte er ein Zehntel von Alî ibn Abus Häuten aus, was diesen, wie er jammernd beteuerte, in den Ruin trieb, betrachtete die restlichen neun Zehntel nochmals aufs Genaueste, begann danach mit den Preisverhandlungen, die er immer wieder unterbrach, dabei Bereitschaft für eine Einigung signalisierend, um kurz darauf hartnäckig und ausdauernd weiterzufeilschen, so lange, bis der Gerbermeister schließlich entnervt ausrief: »Sîdi Moktar, du bringst mich an den Bettelstab, aber ich will lieber ein Bettler sein, als mich länger mit dir auseinander zu setzen. Ich gebe mich mit deinem Angebot zufrieden.«
»Wenn du meinen Vorschlag annimmst, bedenke, dass du auch noch dafür sorgen musst, dass die Häute zu den Färbern transportiert werden«, warnte der zierliche Handelsherr.
Ein weiteres Aufheulen Alî ibn Abus war die Antwort, doch er erklärte sich zähneknirschend auch mit dieser letzten Forderung einverstanden.
»Folgt mir«, sagte Sîdi Moktar danach zu Vitus und seinen Gefährten, »ich will sehen, was meine Fabrikationen machen.« Er führte sie in den Hinterhof einer Gasse, wo mindestens ein Dutzend Männer gebeugt an grob gezimmerten Tischen saßen, emsig Lederstücke bearbeitend. Das Ergebnis ihrer Kunst waren gelbe Pantoffeln jeder Größe. Ähnlich wie der rote Fez gehörten sie zu den besonderen Merkmalen der Stadt und wurden zu Tausenden verkauft. »Jetzt seht ihr«, sagte der zierliche Handelsherr, »warum ich auf erstklassiger Ware bestehe: Nur wenn das Leder ohne Fehl und Tadel ist, kann es das Safrangelb in den Farbbottichen gleichmäßig annehmen, und nur wenn es gleichmäßig eingefärbt ist, kann es zu vollendeten Pantoffeln werden – zu Schuhwerk, das es wert ist, meinen Namen als Hersteller zu tragen.«
Er ließ es sich nicht nehmen, jedem
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