Die Mission des Wanderchirurgen
Mann, der als der Handelsherr Sîdi Moktar angekündigt worden war, ging an ihm vorbei und direkt auf einen der größten Gerbsäurebehälter zu, wo er schon von einem weitaus weniger farbenfroh gewandeten Mann erwartet wurde. Dem Getuschel in der Menge war zu entnehmen, dass es sich bei ihm um den Meister der Gerber handelte.
»Ich grüße dich, Alî ibn Abu el-Kabain«, sagte Sîdi Moktar. »Ich hoffe, die Beschaffenheit deiner Häute ist diesmal über jeden Zweifel erhaben!«
»Das ist sie, Herr, das ist sie«, beeilte sich der Gerbermeister zu versichern. Er wies auf ein neben ihm stehendes hölzernes Podest, auf dem stapelweise Lederhäute lagen. »Sag einfach nur, welcher Schicht ich ein Stück entnehmen soll, und du wirst sehen, ich habe nur erstklassige Ware.«
»Das werde ich in der Tat sehen«, erwiderte der zierliche Handelsherr trocken, »ganz genau sogar, denn diesmal werden mir nicht die kleinen Fehler und Mängel in der Oberfläche entgehen, so wahr ich Hadschi Moktar Bônali heiße.« Er griff in die Tiefen seiner Pluderhose und holte eine runde Glaslinse hervor. »Und diese Lupe wird mir dabei helfen.«
Der Gerbermeister machte große Augen, denn ein solches Prüfgerät zur Kontrolle seiner Ware war ihm noch niemals untergekommen. Dennoch setzte er ein siegessicheres Lächeln auf, als er das erste Stück Ziegenleder übergab.
Sîdi Moktar nahm es und hielt seine Lupe darüber. »Es sieht so aus …«, sagte er. Und dann sagte er gar nichts mehr. Lautstarke Rufe hatten ihn verstummen lassen.
»Sserakin! Haltet die Diebe! Sserakin!«
Er blickte sich um – und wusste nicht, wie ihm geschah. Denn was jetzt passierte, dauerte kaum länger als ein Wimpernschlag. Zwei Burschen, beladen mit silbernen Kannen und anderen Tischgerätschaften, stürzten heran, verfolgt von einem erbosten, Knüppel schwingenden Händler. Die Burschen hetzten an Sîdi Moktar vorbei und rempelten ihn dabei heftig an. Der zierliche Handelsherr drohte das Gleichgewicht zu verlieren, ruderte mit den Armen in der Luft und verlor seine Lupe. Sie segelte in hohem Bogen davon und landete aufklatschend in dem großen Säurebottich.
Für einen Augenblick herrschte Ruhe.
Doch dann setzte ein Höllengezeter ein. Sîdi Moktar war außer sich vor Wut. »Verfolgt die Schandbuben!«, schrie er seinen Dienern zu. »Schafft sie herbei! Ich will persönlich dafür sorgen, dass ihnen Hände und Füße abgehackt werden! Sie sollen des Brennens Strafe schmecken! Siedendes Wasser als Trunk für sie! Diebesgesindel! Oh, meine schöne Lupe, meine schöne Lupe! Los, Leute, was steht ihr da und gafft? Holt sie heraus, tut doch etwas, ich muss sie wiederhaben!«
So und ähnlich klang es geraume Weile, während Alî ibn Abu mit hilflos hängenden Schultern dastand und die Menge nach dem ersten Schreck zu lachen begann. Das Pech eines Begüterten gereichte ihr noch immer zur Freude. Wutschnaubend blickte Sîdi Moktar sich um. Doch nichts tat sich. Endlich kamen seine Diener von der Verfolgung zurück. Und mit ihnen der unglückliche Händler. Von den Verursachern der Schandtat, den beiden Dieben, gab es allerdings keine Spur.
»Holt mir die Lupe aus dem Bottich!«, rief Sîdi Moktar nochmals. »Sie hat mich ein Vermögen gekostet!«
Das wollten die Diener gerne tun, nur wussten sie leider nicht, wie. Die Gerbsäure war eine undurchsichtige Flüssigkeit, bedingt durch ihren pflanzlichen Anteil, was dazu führte, dass die Lupe am Grund nicht erkennbar war. Wer sie hervorholen wollte, musste im wahrsten Sinne des Wortes im Trüben fischen.
Und genau das tat Sîdi Moktars bemühte Dienerschaft nun. Allerdings mit wenig Erfolg, denn ihr fehlte das richtige Werkzeug, und der Bottich war groß. Der zierliche Handelsherr hüpfte von einem Fuß auf den anderen und hätte es am liebsten gesehen, wenn einer seiner Männer hinabgetaucht wäre, aber das zu verlangen, traute er sich doch nicht. Zu ätzend war die Flüssigkeit.
Während die Diener vergeblich versuchten, mit Stangen, Haken, Schaufeln und ähnlichem Gerät das Vergrößerungsglas herauszufischen, verlief sich die Menge allmählich. Die Leute hatten das Interesse verloren, denn nichts deutete darauf hin, dass in absehbarer Zeit etwas Spektakuläres passieren würde. Nur die sechs Freunde blieben, denn sie hatten nichts anderes zu tun.
Plötzlich erscholl der erlösende Ruf: »Ich habe die Lupe, Herr, ich habe sie!«
»Zeig her, zeig her! Ist sie auch nicht zerbrochen? Wisch sie ab, bevor du
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