Die Mission des Wanderchirurgen
fort warst, kam regelmäßig ein Jüngling ins Haus, der bei deiner Frau lag.‹ Da überkam den Kaufmann ein gewaltiger Zorn, und er beschloss, seine Frau zu töten. ›Halt ein, Mann!‹, rief diese, als der Hausherr auf sie losgehen wollte, ›so nimm doch Vernunft an! Ich will dir beweisen, dass der Vogel lügt. Gehe nur für diese Nacht fort und komme morgen früh wieder, dann wirst du erkennen, ob der Papagei die Wahrheit spricht oder nicht.‹ Der Kaufmann erklärte sich damit einverstanden und schlief die Nacht bei einem Freund. Am selben Abend aber warf die Frau ein Leder über den Käfig des Papageien, goss Wasser über das Leder, bewegte kräftig einen Fächer dazu und schwenkte eine Lampe hin und her. Zu alledem drehte sie ohne Pause eine Handmühle, bis es Morgen wurde. Der Kaufmann erschien und hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Papageien zu befragen, was in der letzten Nacht geschehen sei. Der Vogel antwortete vorwurfsvoll: ›Oh, Herr, niemand konnte in der vergangenen Nacht etwas sehen oder hören, auch ich nicht, denn ein Unwetter mit Regen, Donner und Blitz zog über die Stadt!‹ Der Kaufmann glaubte, nicht richtig gehört zu haben, denn nichts dergleichen hatte sich abgespielt. ›Du lügst mich an!‹, schrie er wütend. Doch der Vogel widersprach: ›Nein, Herr, ich sage nur, was meine Augen gesehen und meine Ohren gehört haben.‹ Der Kaufmann zog nun den Schluss, der Vogel habe alles erlogen, was er über seine Ehefrau gesagt hatte, und wollte sich mit ihr versöhnen. Sie aber rief: ›Bei Allah, ich werde dir nicht verzeihen, bevor du diesen Vogel, der so hässliche Lügen über mich verbreitet hat, nicht getötet hast.‹ Da drehte der Kaufmann dem Papageien den Hals um. Von da an schien das Glück in das Haus des Kaufmannes einzukehren. Doch war es nur von kurzer Dauer, denn eines Tages ertappte er seine Frau und ihren Geliebten auf frischer Tat. Da erkannte er, dass der Vogel die Wahrheit gesagt und seine Frau gelogen hatte. Er bereute bitterlich, den treuen Papagei getötet zu haben, und schnitt seiner Frau noch in derselben Stunde die Kehle durch. ›Oh, Allah, warum ließest du es bei mir an Erkenntnis und Einsicht mangeln!‹, rief er verzweifelt und entleibte sich selbst. So kam es, dass am Schluss alle tot waren: der Papagei, die Frau und der Kaufmann. Und niemand hatte das Glück, nach dem er sich so sehnte, erlangt. Nicht einmal der Jüngling, denn er vermisste die Liebesstunden mit der Ehefrau sehr.«
Die Shisha blubberte. Sîdi Moktar nahm ein paar tiefe Züge, denn während des Erzählens war er kaum dazu gekommen. »Das war die Geschichte, meine Freunde.«
Der Magister sagte: »Eine traurige Geschichte, fürwahr. Sie erzählt ein ganz anderes Schicksal als das der Sklaven, und dennoch vermittelt sie denselben Kern: Erkenntnis und Einsicht – das sind die Werte, auf die es ankommt. Denn bevor ich etwas einsehe – und entsprechend handeln kann –, muss ich es erkannt haben. So einfach ist das. Und so schwierig. Gott der Allmächtige gebe, dass ein wenig mehr davon auf dieser Welt Einzug hält.«
»Allah, der Gepriesene und Erhabene, gebe es«, bekräftigte Sîdi Moktar.
Der sechste und siebte Tag ihrer Reise verlief ähnlich, doch am achten Tag geschah etwas Unverhofftes: Sie begegneten einer Karawane, die dasselbe Ziel hatte wie sie – Oran. Herr dieser Karawane war ein Hadschi namens Harun el-Chalidân und unbestreitbarer Mittelpunkt seine Tochter Budûr. Sie ritten in besonderer Mission, denn Budûr sollte in Oran ihrem Bräutigam zugeführt werden. Ein Ereignis, das, wie der Vater versicherte, seine Schatten schon seit Monaten vorauswarf.
Die Karawane war ähnlich groß wie die des Sîdi Moktar, denn die Mitgift der Tochter wog schwer. Entsprechend hoch war auch die Anzahl der Krieger, die sie begleiteten. Nachdem die beiden Hadschis einander begrüßt und sich gleichermaßen zu Allah, dem Alleinregierenden über Himmel und Erde, bekannt hatten, beschlossen sie, gemeinsam weiterzuziehen und die Kraft ihrer Soldaten zu bündeln.
»Dies ist ein guter Tag«, sagte Sîdi Moktar.
Und Sîdi Harun pflichtete ihm bei.
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Die Braut Budûr
»Sag mal, Mutter, warum hast du mir nie etwas über die Monatsblutung erzählt?«
A m Abend, nachdem sie die Stadt Oujda hinter sich gelassen hatten, erreichten sie
el-Dschudi
, eine große Karawanserei mit ausladendem Hof, um den die Stallungen, Lagerräume und Unterkünfte für die Reisenden angeordnet waren. Auch
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