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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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eine Gemeinschaftsküche mit angrenzender Halle zur Einnahme der Speisen war vorhanden. Die Gemäuer bestanden sämtlich aus altersschwachen Lehmziegeln, nur hier und da glänzte noch die eine oder andere Majolikafliese unter dem alles bedeckenden Staub.
    El-Dschudi
war ein unübersichtlicher Bau, über Jahrhunderte immer wieder geändert und ergänzt, mit zahllosen Fluren und Gängen, engen, steilen Treppen und kleinen Fenstern, durch die das Sonnenlicht nur spärlich hereinfiel.
    Die beiden Hadschis waren übereingekommen, die Abendmahlzeit gemeinsam in der Halle einzunehmen, was gleich mehrere Vorteile mit sich brachte: Man brauchte selbst kein Feuer für die Zubereitung der Speisen zu entfachen, man musste sich nicht so warm kleiden wie unter freiem Himmel, und man konnte Weihrauch und Aloewurzeln abbrennen, um Ungeziefer abzuwehren und den Gestank der Wiederkäuer zu überdecken.
    Der Einfachheit halber war mittels Teppichen eine große, rechteckige Fläche auf dem Boden abgedeckt worden – die Tafel, an der alle im Schneidersitz Platz nehmen konnten.
    »Höre, Bruder«, sagte Harun el-Chalidân zu Moktar Bônali, nachdem dieser ihm jeden seiner Freunde vorgestellt hatte, »ich bin froh, dass wir uns begegnet sind. Die Zeiten gelten als gefährlich, und je mehr Bewacher eine Karawane hat, desto sicherer reist sie. Diesmal ist es mir besonders wichtig, denn der Bräutigam meiner Tochter, sein Name ist übrigens Kamar er-Raschûd, wird in Oran nicht weniger als zwanzig Kamele für sie bezahlen, was mich natürlich verpflichtet, ihr eine entsprechende Mitgift an die Hand zu geben.«
    »Natürlich«, erwiderte Sîdi Moktar nickend. Er wurde umschwirrt von seinen Dienern und denen seines Hadschi-Bruders, doch er zog es vor, selber Ausschau nach dem Tablett mit den eingelegten Wachteleiern zu halten. Als er es nicht entdecken konnte, griff er schließlich zu den in Pinienhonig getränkten Nüssen, die ihm am nächsten standen. »Willst du selbst nichts essen?«
    »Nein, nein«, wehrte Sîdi Harun ab. »Ich habe es mit dem Magen. Je weniger ich esse, desto besser geht es mir.« Dass der Brautvater Magenprobleme hatte, stand ihm ins Gesicht geschrieben, denn zwei tiefe Falten zogen sich, von der Nasenwurzel ausgehend, bis hinunter zu seinen Mundwinkeln, wo sie in einem langen eisgrauen Bart verschwanden. Seine Hautfarbe wirkte ebenfalls nicht sehr gesund, zeigte eher ein Grün als ein Braun.
    Vitus fragte: »Was isst du denn am liebsten, wenn du überhaupt etwas zu dir nimmst?«
    Sîdi Haruns Augen begannen zu leuchten. »Oh, Cirurgicus, ich darf sagen, dass es Allah gefallen hat, mich im Leben nicht wenig erfolgreich sein zu lassen, insofern könnte ich mir die feinsten Speisen der Welt leisten, aber mein Lieblingsgericht ist nach wie vor Hammel. Schöner, fetter Hammel. Nichts geht darüber!«
    »Und immer, wenn du dich etwas besser fühlst, sprichst du diesem kräftig zu?«
    »Du sagst es. Die wenigen Male, wo mein Leib nicht rebelliert, müssen genutzt werden.«
    »Dann rate ich dir, bei der nächsten Gelegenheit darauf zu verzichten. Zu viel Fett ist nicht gut. Man stößt danach nur sauer auf, und der Magen kneift, als säße ein Messer darin.«
    »Was? Du meinst, die Beschwerden lägen am Hammel? Willst du mir das Einzige, was ich essen kann, auch noch verbieten?«
    Vitus lächelte. »Im Gegenteil. Iss, was du willst. Möglichst aber viel Gemüse, und trinke ausreichend Wasser dazu. Lass überall Fettes und Süßes weg, und du wirst sehen: Schon bei der Hochzeitsfeier hast du wieder Freude an Speise und Trank.«
    Sîdi Harun schluckte. »Ich will dir gerne glauben, aber woher weißt du das alles, Cirurgicus?«
    »Weil ich nicht nur ein Wundschneider bin. Ich kenne mich auch mit den Säften des Leibes aus und habe Kenntnisse in der Kräuterkunde.«
    »Ich danke dir, ich danke dir!« Hadschi Harun el-Chalidân erhob sich und schüttelte fast feierlich Vitus’ Hand. »Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass mein Töchterchen seit zwei Tagen wie verwandelt ist. Das Kind weint und schluchzt den ganzen Tag und lässt niemanden an sich heran. Nicht einmal meine Lieblingsfrau, ihre Mutter. Zuerst dachte ich, Budûr hätte Heimweh, aber das ist es nicht, ich fühle es genau. Ich bin mir nicht sicher, ob es Allah gefällt, wenn ich einem Ungläubigen gestatte, meine Tochter zu untersuchen, aber ich will es wagen. Zu unglücklich und verzweifelt wirkt die Kleine auf mich. Würdest du sie dir nach der Mahlzeit einmal

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