Die Mission des Wanderchirurgen
ist?«
»Nein.« Sîdi Mokta hatte wie gebannt gelauscht.
»Vier Fuß. Oder zwei Ellen, wenn dir dieses Maß geläufiger ist. Das heißt, bis auf die Kinder kann niemand in diesen Decks aufrecht gehen. Aber die erbarmungswürdigen Schwarzen brauchen es auch nicht, denn sie werden liegend angekettet. Schulter an Schulter, Kopf an Kopf, wie die Fische in der Kiste. Zuletzt sind es um die dreihundert Menschen, und der Gestank, der von ihnen ausgeht, ist so bestialisch, dass manche daran ersticken. Andere wollen sich selbst ersticken. Das sind diejenigen, denen es gelingt, in einem unbewachten Augenblick ins Wasser zu springen. Sie tauchen einfach ab und bleiben so lange unten, bis der Tod sie erlöst. Sie wollen lieber sterben als in Gefangenschaft geraten.«
»Es ist furchtbar, wozu manche Menschen fähig sind. Nie würde ich meine Sklaven so behandeln«, murmelte Sîdi Moktar. Ihm war der Appetit vergangen. »Es muss Satan persönlich sein, der sich ihrer bemächtigt, anders ist es nicht zu erklären. Wo ist meine Shisha?«
»Die Überfahrt des Sklavenfahrers in die Neue Welt dauert im Allgemeinen zwei Monate. In dieser Zeit stirbt mehr als ein Drittel der Menschenware unter entsetzlichsten Umständen. Immer wieder kommen Ausbruchsversuche vor, aber jedes Mal werden sie brutal niedergeschlagen. Am schlimmsten ist es, wenn Matrosen sich nachts heimlich unter Deck schleichen, um die Frauen zu schänden. Dies ist zwar streng verboten, aber sie tun es trotzdem. Einmal versuchte es einer, so erzählte uns Okumba, bei seiner Schwester. Okumba erdrosselte ihn mit seiner Kette und warf seinen Körper vor den Niedergang. Die Aufseher fanden nie heraus, wer ihn getötet hatte.«
»Furchtbar, furchtbar.« Der zierliche Handelsherr war sichtlich erschüttert. »Aber hat diese Geschichte denn gar kein Ende?«
»Nein. Solange es Sklaverei auf dieser Welt gibt, endet sie nicht.«
Sîdi Moktar nahm einen blubbernden Zug aus der Wasserpfeife. »Ich weiß, dass auch die Haratin in den Foggara nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, und unter Tage herrscht ebenfalls drangvolle Enge, aber nach des Tages Plagen dürfen sie immerhin ans Licht und in eigenen Hütten schlafen. Welch ein Frevel passiert da auf den Schiffen! Nun ja, die Spanier sind hierzulande auch nicht sonderlich gern gesehen, obwohl ich zugeben muss, dass mit ihnen gute Geschäfte zu machen sind.«
Der Magister hatte sein Mahl ebenfalls beendet, obwohl er ein dankbarer Esser war. »Ja«, sagte er, »mit den Spaniern ist es wie mit allen Völkern: Es gibt gute und böse Menschen unter ihnen. Keinesfalls sollte man alle über einen Kamm scheren. Ich, zum Beispiel, würde nie einen Sklaven haben wollen, es wäre nicht gerecht vor Gott – und auch mit meiner Profession, nämlich der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, nicht vereinbar.«
»Ja, ja, wenn wir doch alle nur ein wenig einsichtiger und überlegter handeln würden«, seufzte Sîdi Moktar.
Wie sich herausstellte, war dies ein gutes Schlusswort, denn kurz danach begaben sich alle zur Ruhe.
Am Abend des fünften Reisetages sprach der zierliche Handelsherr: »Freunde, ich habe den ganzen Tag darüber gegrübelt, was ihr mir über die Sklaven auf den Schiffen erzählt habt. Auch habe ich viel überlegt, woran es dem menschlichen Verstand wohl mangelt, dass er zu solchen Grausamkeiten in der Lage ist. Ich denke, es ist tatsächlich die Bereitschaft zur Erkenntnis und zur Einsicht. Wir Menschen wähnen uns immer über den Tieren stehend, dabei sind es häufig sie, die uns unsere Grenzen aufzeigen. Doch bevor ich ›Die Geschichte von dem Kaufmann und dem Papageien‹ erzähle, erlaubt mir die Frage, ob jeder auch gut mit Speise versorgt ist.«
Als alle bejaht hatten, und auch Alb ein Gurgeln ausstieß, das wie Zustimmung klang, hob Sîdi Moktar an:
»Ein Kaufmann, der viel auf Reisen war, hatte eine Frau, deren Schönheit von aller Welt bewundert wurde. Er liebte sie innig, doch weil sie so schön war, verfolgte er sie auch mit seiner Eifersucht. In seiner Sorge nun schaffte er einen Papageien an, auf dass dieser ihm alles berichte, was während seiner Abwesenheit im Hause passierte. Kurz darauf musste er wieder einmal für längere Zeit fort, und die Frau nutzte die Gelegenheit und machte einem Jüngling schöne Augen. Sie gab ihm Speise und Trank und schlief mit ihm, sooft es ging, bis eines Tages der Hausherr zurückkam und sogleich den Papageien befragte. Dieser berichtete: ›Herr, während du
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