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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Eltern in einem Nebenraum warteten. »Ich weiß jetzt, was es mit den Tränen deiner Tochter auf sich hat, Sîdi Harun«, verkündete er. »Sie hat zum ersten Mal ihre Blutung bekommen und gedacht, sie müsse sterben. Morgen oder übermorgen wird sie sich wieder rein fühlen und guter Dinge sein.«
    »Oh, Cirurgicus!« Sîdi Harun fiel sichtlich ein Mühlstein vom Herzen. »Du meinst, äh, alles sei ganz normal?«
    »Alles ist ganz normal«, lächelte Vitus. Er wandte sich der Frau zu: »Gestatte mir, dir einige Ratschläge zu erteilen. Als Erstes solltest du dafür sorgen, dass Budûr ein Sitzbad nimmt. Das Wasser muss körperwarm sein, nicht wärmer. Wenn es kälter wird, muss heißes Wasser hinzugefügt werden. Das Sitzbad sollte mindestens eine halbe Stunde dauern. Es hilft, die Muskulatur zu entkrampfen, der Unterleib wird gelockert, Stauungen werden behoben. Und dann erkläre deiner Tochter, wie man mit der monatlichen Blutung umgeht, und bestätige ihr noch einmal, sozusagen von Frau zu Frau, dass der Vorgang ganz normal ist. Vielleicht solltest du sie auch darauf vorbereiten, was sie als Braut in der ersten Nacht zu erwarten hat – du weißt schon, was ich meine.«
    Sîdi Haruns Lieblingsfrau nickte scheu und entfernte sich mit raschen Schritten.
    Ihr Gebieter blickte ihr nach, strich sich über den Bart und sagte: »Bei Allah, dem Herrn der Welten, warum hat die Mutter der Tochter nicht die notwendigen Dinge gesagt? Das ist doch Frauensache! Oh, oh, welcher Mann wird jemals in die Seele einer Frau blicken können. Nun ja, jedenfalls bin ich glücklich, dass alles sich als harmlos erwiesen hat. Komm, Cirurgicus, wir wollen wieder an die Tafel gehen.«
    »Gern, Sîdi Harun.«
    »Vielleicht versuche ich doch, ein wenig Gemüse zu essen. Was meinst du?«
     
    Vorsichtig setzte Budûr sich in den hölzernen Bottich mit dem lauwarmen Wasser. Ein angenehmes Gefühl umfing sogleich ihren Unterleib, wohltuend und beruhigend und entspannend. Es war ihr, als würde der Schmerz ganz einfach davonfließen. Wie gut das tat! Sie schloss die Augen, lehnte sich zurück und hing ihren Gedanken nach. Wieso hatte die Mutter ihr kein einziges Wort über die Monatsblutung erzählt? Bûdur nahm sich vor, es bei ihrer eigenen Tochter anders zu halten. Dieser würde sie die Todesängste ersparen, vorausgesetzt, sie würde eine Tochter bekommen. Eine Tochter …
    Um sie zu bekommen, mussten Dinge zwischen Mann und Frau passieren, von denen sie viel gehört, aber nie Genaues erfahren hatte. Wo die Mutter nur war? Ach ja, sie hatte den Raum verlassen, um etwas zu holen, das sich, wie sie versichert hatte, als sehr hilfreich erweisen würde.
    Budûr öffnete die Augen wieder und entdeckte einen Gecko, der oben in der Wandecke saß. Der Gecko wirkte wie festgeklebt. Er hatte die Farbe von Glas und war nahezu durchsichtig. Vor ihm hatte sich eine Fliege niedergelassen. Ob er sie fangen würde? Nein, er rührte sich nicht. Genau wie sie in ihrem Sitzbad …
    Jetzt, wo sie nicht mehr sterben musste, erschienen ihr die beiden letzten Tage nur noch halb so schlimm. Trotzdem, den Augenblick, als sie beim Wasserlassen plötzlich Blut im Sand erblickt hatte, würde sie niemals vergessen. Sie hatte sich furchtbar erschreckt und war fast in Panik geraten. Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges beim Verrichten der Notdurft erlebt. In ihrer Erinnerung war es ein richtiger Schwall von Blut, der ihren Körper verlassen hatte. Sie war aufgesprungen und hatte sich sofort wieder hingehockt. Niemand sollte sie so sehen! Anschließend hatte sie mit fahrigen Händen ein Stück ihres Hidschabs abgerissen und sich zwischen die Beine gestopft. Wie eklig und unsauber das alles gewesen war. Und wie groß ihre Angst!
    Selbst jetzt noch, im warmen Sitzbad, durchlief sie ein Schauer, als sie an die Situation dachte. Das Schlimmste aber war, dass ihr Vater im selben Moment die Rast für beendet erklärt hatte und sie ihr Reitkamel wieder erklimmen musste.
    Die Stunden danach waren zur Qual geworden. Hin- und hergerissen zwischen Angst und eigenen Erklärungsversuchen, hatte sie im Sattel gekauert und sich den Leib gehalten. Ihre Mutter war ein paarmal an ihre Seite geritten und hatte sie gefragt, was mit ihr los sei, aber es war ihr unmöglich gewesen, über ihre Probleme zu sprechen. Schließlich hatte Nâdschija sie in Ruhe gelassen.
    »Da bin ich wieder.« Die Mutter war zurück und hielt etwas in der Hand. »Es war gar nicht leicht, es aufzutreiben, aber eine

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