Die Mission des Zeichners
nieder.
Sie setzte gerade zum Reden an, als die Tür aufging und eine Zofe eintrat. Nach einem kurzen Gespräch auf Holländisch zog sich das Mädchen wieder zurück.
»Wie lange«, begann Spandrel, der das Bedürfnis verspürte, etwas zu sagen, obwohl es wenig gab, worüber er unbedenklich reden konnte, »leben Sie eigentlich schon in Amsterdam, Mrs. de Vries?«
»Fast drei Jahre, Mr. Spandrel.«
»Sie beherrschen die Sprache... sehr gut.«
»Nicht so gut, wie ich sollte. Aber Mr. Zuyler ist mir ein gewissenhafter Lehrer, sofern es seine anderweitigen Pflichten zulassen.«
»Aus welchem Teil von England stammen Sie?«
»Aus einem unbekannten Winkel. Aber Ihr Akzent verrät Sie als Londoner, denke ich.«
»Sie haben es getroffen.«
»Wie geht es der Stadt dieser Tage?«
»Der Stadt geht es gut, aber ihre Bürger sind im Allgemeinen niedergeschlagen.«
»Wegen des Zusammenbruchs der South Sea Company?«
»Allerdings. Ich sehe, dass Sie gut informiert sind.«
»Mein Gatte ist ein Geschäftsmann, Mr. Spandrel. Wie sollte ich das also nicht sein. Außerdem hat die South Sea Company hier kaum weniger Opfer als in London. Und die, die ihr Geld dort nicht zum Fenster hinausgeworfen haben, haben es stattdessen bei der Mississippi Company in den Sand gesetzt. Hat sich London wenigstens davon fern gehalten?«
»Das glaube ich nicht.« In den Zeitungen aus dritter oder vierter Hand, die seine einzige Informationsquelle über das Weltgeschehen darstellten, hatte Spandrel mehrere Artikel über die Mississippi Company gelesen. Sie war die französische Imitation der Spekulationen mit den Anteilen am Südseehandel gewesen. Oder verhielt es sich umgekehrt? Er konnte sich nicht mehr richtig erinnern. »Aber mir scheint, Sie wissen... über solche Angelegenheiten mehr als ich.«
»Wenn das zuträfe, wären Sie die einzige Ausnahme unter den Geschäftsfreunden meines Mannes.«
»Aber ich bin gar kein Geschäftsfreund von ihm, Madam, sondern nur der Diener eines solchen.«
»Könnte Ihr Herr etwa Sir Theodore Janssen sein?«
Spandrel zuckte vor Überraschung zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, so leicht durchschaut zu werden.
»Verzeihen Sie mir, Mr. Spandrel.« Mrs. de Vries schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Diese Schlussfolgerung hat keinen besonderen Scharfsinn meinerseits erfordert. Sir Theodore ist der älteste Freund meines Mannes. Mein Mann hat neulich erwähnt, einen Brief von ihm erhalten zu haben. Sir Theodore lebt in London. Sie kommen aus London. Und Mr. Zuyler hastet davon, um Mr. de Vries mitten aus seinen Transaktionen zu reißen. Sehen Sie? Ein Kinderspiel.«
»Nur, wenn Sie es erklären.«
»Sie schmeicheln mir.« Ihr Lächeln wurde breiter, und schlagartig merkte Spandrel, dass das tatsächlich seine Absicht gewesen war. In diesem Augenblick bewegte sich der Türriegel. »Ah, da kommt Gertruid mit unserem Tee.«
Den Seufzern nach zu urteilen, die sie beim Decken des Tischs ausstieß, war Gertruid etwas missgestimmt. Mit dem Tee hatte sie auch einen reichhaltig aussehenden Kuchen gebracht, und sobald sie wieder allein waren, schnitt Mrs. de Vries Spandrel eine große Scheibe herunter und sah ihm zufrieden beim Essen zu.
»Reisen macht einen Mann hungrig, nicht wahr, Mr. Spandrel?«
»O ja, Madam, ich gestehe es. Und dieser Kuchen ist... vorzüglich.«
»Schön. Sie müssen tüchtig essen. In diesem Haus braucht niemand zu hungern. Die Klugheit meines Mannes in Geschäftsangelegenheiten ist uns in letzter Zeit sehr zugute gekommen.«
»Es freut mich, das zu hören.«
»Es gibt ein holländisches Sprichwort, das er oft zitiert: Des waereld's doen en doolen es en maar een mallemoolem. Das Treiben der Welt ist nichts als ein Karussell der Narren. Aber wenn das wirklich zutrifft, dann stellt sich, wie ich meine, doch zwangsläufig eine ganz neue Frage, nämlich: Sind wir nicht alle Narren? Schließlich müssen wir alle in dieser Welt leben.«
»Ich bin sicher, dass sich auf eine solche Frage eine Antwort finden lässt.«
»Allerdings keine, die wir hören möchten. Egal. Versuchen wir es eben mit einer anderen: Wie lange stehen Sie schon in Sir Theodores Diensten, Mr. Spandrel?«
»Noch gar nicht so lange.«
»Und davor?«
»Von Beruf bin ich Kartenzeichner.«
»Wirklich? Gibt es einen Grund, warum Sie Ihren Beruf nicht ausüben?«
»Die Zeiten sind schwer. Und in schweren Zeiten sagen sich die Leute, dass sie ohne Karten leben können.«
»Aber ohne Karte besteht doch immer
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