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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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und den hatte er auch nötig. Doch mehr als zwei Gläser wollte er nicht riskieren. Danach kehrte er kurz in sein Zimmer zurück, um Hammer und Meißel in einem Sack zu verbergen, zündete die Laterne an und brach auf.
    Die Nacht war kalt. Die Brise vom Nachmittag hatte sich zu einem schneidend kalten Wind verstärkt. In den Straßen waren nur wenige Menschen unterwegs, und die trödelten nicht. Spandrel ebenso wenig. Er folgte dem Weg längs des Montelbaanswal zur Amstel, den ihm Zuyler als den einfachsten, wenn auch nicht unbedingt schnellsten beschrieben hatte. Bei der ersten Brücke überquerte er den Fluss, ging in westlicher Richtung weiter und erreichte einen verlassenen Marktplatz, von dessen anderem Ende eine schmale Straße zwischen den Rückfassaden der Häuser an der Herengracht und den Vorderseiten bescheidener Wohngebäude hindurchführte. Laut Zuylers Angaben würde er so zum Tor von de Vries' Remise gelangen, die er an einer in Form eines Affen gearbeiteten Lampenkonsole erkennen würde. Die Lampe würde brennen, weil die Remise für die Rückkehr der Kutsche bereitgehalten würde. Sollte sie gelöscht sein, könne das nur bedeuten, dass de Vries aus irgendeinem Grund nicht zu dem Konzert gegangen sei. In diesem Fall müsse der Versuch abgebrochen werden.
    Aber sie brannte. Und da war auch der gusseiserne Affe und grinste ihn an, wie es ihm im flackernden Licht der Lampe schien. Spandrel drehte die Flamme seiner Laterne kleiner, trat in den Schatten zurück und wartete, bis die Uhr, die laut Zuyler in Hörweite war, zehn schlug. Um diese Zeit, hatte ihm Zuyler versichert, hätten sich alle Bediensteten in ihre Zimmer im Keller zurückgezogen, um das Abendessen zu verdauen und altbekannte Klagen über ihren Herrn auszutauschen.
    Es war eine kalte, nervöse Wache von vermutlich nicht mehr als zehn Minuten, die sich jedoch für Spandrel wie endlose Stunden hinzogen. Fast rechnete er schon damit, dass die Kutsche zurückkehrte oder Hondslager ihn aus der Dunkelheit ansprang. Dann wieder beunruhigte ihn die nicht ganz so unberechtigte Sorge, ein Fußgänger könnte Verdacht schöpfen. Aber niemand kam vorbei außer einer verwegen aussehenden Katze, die eine Maus im Maul trug und Spandrel keines Blickes würdigte. Allein die Sterne beobachteten ihn. Allein die Nacht lauschte. Schließlich schlug die Uhr.
    Die schmale Tür in der an die Remise grenzenden Mauer ließ sich mit einem kaum wahrnehmbaren Klicken öffnen. Spandrel trat in einen kurzen Durchgang, der weiter in den Garten führte. Einen Moment lang glaubte der Engländer, ein schwarzes Loch zwischen sich und dem Haus zu haben, wo im Keller noch matte Lichter brannten. Ansonsten herrschte überall Finsternis. Spandrel drehte die Laterne wieder höher und huschte längs der Remise weiter, bis er den an ihre Rückseite angebauten Schuppen fand. Er hob den Riegel an und öffnete behutsam die Tür. Direkt daneben stand zwischen den Hacken und Rechen die Leiter. Er nahm den Hammer und den Meißel aus dem Sack und steckte sich beides in die Rocktasche, weil er eine freie Hand für die Leiter brauchte. Solcherart beladen, stapfte er weiter durch den Garten. Den Weg beleuchtete ihm die Laterne, die er mit ausgestrecktem Arm vor sich hertrug.
    Heftig keuchend und trotz der Kälte schwitzend, erreichte er die Terrasse. Er warf einen Blick in eine Art Speisekammer, in die von einem der Kellerzimmer her spärliches Licht sickerte. Zum Glück war niemand zu sehen. Auch konnte er trotz angestrengten Lauschens nirgendwo Stimmen ausmachen. Die Luft war rein.
    Er gab sich einen Ruck. Noch einmal befahl er sich, langsam und behutsam vorzugehen. Unter dem hintersten Bibliotheksfenster - von dem ihm Zuyler versprochen hatte, dass er es nicht schließen würde - lehnte er die Leiter gegen die Wand und kletterte hinauf. Als er versuchte, das Fenster nach oben zu schieben, leistete es einen Augenblick lang Widerstand, dann gab es quietschend nach. Er öffnete es zur Hälfte, hängte die Laterne an eine Halterung im Rahmen und kroch über das Fensterbrett hinein.
    Erneut befand er sich in dem Raum, in dem er von Estelle mit Tee verwöhnt und von Ysbrand de Vries so verächtlich abgekanzelt worden war. Er stellte sie sich nebeneinander in dem Konzert vor, Estelle, wie sie sich an der Musik, und Ysbrand, wie er sich am Neid anderer Männer ergötzte, der sie beim Anblick seiner Frau zwangsläufig erfassen musste. Spandrel fragte sich, ob sie über das, was er im Begriff war

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