Die Mission des Zeichners
Strohmatte, auf der er lag; das Husten und Fluchen seiner Zellengenossen; der Gestank menschlicher Ausdünstungen. Allmählich begann er, die Wahrheit über seine Lage Stück für Stück zusammenzusetzen. Und sie war noch bei weitem schlimmer als in jenen schrecklichen Tagen im Fleet. Wohin man ihn auch gesteckt haben mochte, er war hier nicht, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Er war hier wegen Verdachts auf Mord. Und das war beileibe nicht irgendein Mord. Ysbrand de Vries war tot. Dafür würde jemand zahlen müssen - mit dem Leben.
Er setzte sich auf. Jäh zuckte ein derart grässlicher Schmerz durch seinen Kopf, dass er glaubte, eine Axt habe ihn gespalten. Jetzt erst fiel ihm der Hammer in Zuylers Hand ein und wie er auf ihn niedergesaust war. Vorsichtig betastete er die Quelle des Schmerzes. Schon bei der leichtesten Berührung stöhnte er auf. Das Haar war von getrocknetem Blut ganz steif. Wie schlimm die Wunde war, konnte er nicht ermessen, aber immerhin war er am Leben und vermochte zusammenhängend zu denken. Er sah sich um. Als er den finsteren Blick eines anderen Insassen bemerkte, sagte er sich, dass ihm nichts mehr zu seinem Glück fehle.
Es folgte ein Wortwechsel auf Holländisch zwischen dem Mann, der Spandrel angesehen hatte, und einem anderen mit rauer Stimme, der weiter hinten im Dunkeln hockte und offenbar Dirk hieß. Dirk schlurfte näher. Im Dämmerlicht der Zelle stellte er sich als ausgemergelte Vogelscheuche von Mann heraus. Seinen Leib bedeckten zusammengenähte Fetzen, die bestimmt nie als Kleider gedient hatten. In seinen Au gen war ein Funkeln, das Spandrel unwillkürlich an ein aus seinem Loch spähendes Wiesel erinnerte.
»Engländer, sagt Wärter. Ich spreche ein bisschen.« Er bedachte Spandrel mit einem zahnlosen Grinsen.
»Ich bin Engländer, ja.«
»Was du machen? Warum sie dich hier reingeben?«
»Ich habe nichts getan. Das ist alles ein Fehler.«
»Hah! Fehler. Ja. Richtig.« Dirk zwinkerte ihm zu. »Wir alle auch.«
»Es ist aber die Wahrheit! Ich bin unschuldig.«
»Ja, ja. Na und? Du hier. Für was?«
»Mord«, gab Spandrel bedrückt zu.
»Du machst Mord?«
»Das sagen sie.«
»Wen?«
»Einen Händler namens de Vries.«
»De Vries? Ysbrand de Vries?«
»Ja. Aber...«
»De Vries tot?«
»Ja. Er ist tot.«
Dirk stieß ein gespenstisches Triumphgeheul aus und klatschte begeistert in die Hände. Die meisten der anderen Gefangenen - es mochte ein halbes Dutzend sein - drehten sich zu ihnen um. »Du gut töten, Engländer. De Vries der richtige Mann, um zu töten. Sehr gut.«
»Ich habe es aber nicht getan.«
Dirk hatte dafür nur ein Schulterzucken und ein hilfloses Grinsen übrig. »Sag das Henker. Dann erzähl mir, was er sagt.« Damit setzte er sich zu Spandrel auf die Matratze und zwinkerte ihm erneut zu. »Du de Vries töten. Jetzt« - er beschrieb mit der Hand eine Schlinge um seinen Hals und deutete an, wie der Kopf hochgerissen wurde - »sie dich töten.«
Spandrel hätte Dirk am liebsten ignoriert, aber außer ihm sprach niemand Englisch, und aus seinem abwechselnd schwarzmalerischen und euphorischen Gerede ließen sich immerhin ein paar Tatsachen herausfiltern. Sie saßen in einer Zelle im Kellergewölbe des Amsterdamer Stadkuis, des Rathauses. Spandrel war in der vergangenen Nacht gebracht worden. Dass sich die Wärter nicht näher über das ihm zur Last gelegte Verbrechen äußerten, lag an der Berühmtheit seines angeblichen Opfers. Sie konnten gegen Mittag mit altem Brot und Sauerbier rechnen. Und Spandrel konnte damit rechnen, bis zum Abend verhört zu werden. Schließlich war er wichtig. Oder jedenfalls sein Verbrechen. Dirk war nichts als ein einfacher Taschendieb, seine Zellengenossen eigentlich nur Landstreicher. Ein paar von ihnen warteten hier schon seit Wochen auf ihre Verhandlung. Wenn sie vor den Richter kamen - und natürlich für schuldig befunden wurden -, würden umgehend Auspeitschen und Brandmarken folgen. Mit Spandrel würde man ähnlich, obgleich vielleicht schneller verfahren; die Behörden würden sich in diesem besonderen Fall wohl kaum den Vorwurf der Verschleppung einhandeln wollen. Nur das Ende wäre anders. Für Spandrel wäre es in jeder Hinsicht das Ende.
Es war früh am Abend, als sie ihn holen kamen. Zwei Wärter führten ihn durch einen engen, auf der einen Seite von Zellen, auf der anderen von einer kahlen Wand gesäumten Gang. Schließlich erreichten sie einen großen, sehr hohen Raum, der an der
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