Die Mission des Zeichners
dass das Verfahren in Abwesenheit des Beschuldigten stattfand - Sunderland geruhte nicht einmal, es von der Galerie aus zu verfolgen -, verlieh dem Fall eine besonders pikante Note; und obendrein wurde gemunkelt, Walpole hätte großzügige Bestechungsgelder gezahlt, um seinem alten Feind Kopf und Kragen zu retten.
Die Debatte war ebenso kurz wie erbittert. Die Beschuldigung, Sunderland hätte Anteile an der South Sea Company in Höhe von fünfzigtausend Pfund erhalten, ohne einen Penny dafür bezahlt zu haben, war für jeden einleuchtend, aber keineswegs leicht zu beweisen, weil man weder den Ersten Kassenführer Knight noch sein berüchtigtes Hauptbuch zur Klärung heranziehen konnte. Somit hing die Entscheidung von den Stimmen der Abgeordneten ab, von denen einige aus Überzeugung abgegeben und andere teuer gekauft wurden. Am Ende wurde Sunderland, wie von vielen erwartet, freigesprochen.
Die Öffentlichkeit war empört, wenn auch nicht überrascht. Und als die Wogen sich nach und nach glätteten, erkannte man, wie scharfsinnig Walpole den Fall beurteilt hatte. Sunderland hatte überlebt, doch die Mehrheit von 233 zu 177 Stimmen war zu knapp, als dass er eine vollständige Entlastung für sich in Anspruch nehmen konnte. Dem Tower war er entgangen, aber im Schatzamt konnte er nicht bleiben. Seine Tage waren gezählt, seine Ära vorbei. Was bedeutete, dass die von Walpole begann.
Außer, natürlich, etwas kam dazwischen, das nicht einmal Walpole voraussehen konnte.
Am Morgen danach erschien ein allein reisender, erschöpfter Engländer vor der Porta del Populo, dem nördlichsten der Tore in der alten Stadtmauer Roms. Es war ein heißer Frühlingstag mit strahlendem Sonnenschein, der in Amsterdam und erst recht in London als Höhepunkt des Hochsommers gegolten hätte. Nachdem ihn der Zöllner mit Schikanen so lange zermürbt hatte, bis er auf Bestechung zurückgriff, durfte Nicholas Cloisterman endlich das Tor passieren. Gleich dahinter erreichte er eine Piazza mit einem ägyptischen Obelisken in der Mitte. Trotz seiner Müdigkeit blieb er ehrfürchtig stehen. Hinter diesem stolz gereckten Finger, den das römische Imperium vor langer Zeit geraubt hatte, führten drei Straßen - den Spitzen eines Dreizacks gleich - zur Stadtmitte. Cloisterman war die Abzweigung nach rechts genannt worden, die Via di Ripetta. Wenn er auf ihr nur lange genug geradeaus ging, würde er auf die Casa Rossa stoßen, ein Albergo, das ihm Percy Blain empfohlen hatte. Da das Verhältnis zwischen England und dem Papst denkbar kühl war, unterhielt die britische Regierung keine Vertretung in Rom. Cloisterman war also auf sich gestellt, mit Problemen rechnete er deswegen aber nicht. Sobald er sich mit dem Spion der Regierung am Hof des Prätendenten in Verbindung setzte, würde er erfahren, ob Estelle de Vries Rom bereits erreicht hatte. Wenn nicht, konnte er in aller Ruhe nach Florenz zurückkehren und Blain und den Behörden alle weiteren, nötigen Schritte überlassen. Sollte sie dagegen schon hier sein... Doch Cloisterman war müde und verschob diesen Gang auf später. Er erlag den aufdringlichen Schmeicheleien eines der vielen servitoxi dipiazza, nahm eine Droschke und bat den Kutscher, ihn zur Casa Rossa zu fahren.
Wäre Cloisterman bis zum späten Nachmittag auf der Piazza del Populo geblieben, hätte er staunend beobachten können, wie Estelle de Vries in Begleitung von William Spandrel und zweier weiterer Engländer ankam, von denen der eine die Gestalt einer Bohnenstange, der andere die einer Wassermelone hatte, Giles Buckthorn und Naseby Silverwood. Dieses ungleiche Paar fiel erst durch lautstarke Beschwerden auf, dann durch nicht minder großzügige Bestechungsgelder, ehe es durch die Sperre am Zollhaus gelassen wurde, wohingegen Mrs. de Vries und ihr angeblicher Vetter kaum Aufmerksamkeit erregten. Laut einem, wie Buckthorn und Silverwood erklärten, guten Kenner der Stadt waren die besten Herbergen um die Piazza di Spagna herum zu finden. Nun, durch einen seltenen Zufall gerieten sie an denselben Servitore mit dem spitzen Fuchsgesicht, der sich zuvor schon Cloisterman gefällig erwiesen hatte und sich nun erneut eine kleine Zuwendung verdiente, indem er auf ihre Kutsche sprang und den Kutscher zu ihrem Ziel dirigierte.
Die Sonne verschwand bereits hinter dem in leuchtendes Rosa und Gold getauchten Horizont, als die vier Reisenden die Via del Babuino hinunterfuhren. Für Spandrel waren die teils erhabenen, teils im Verfall
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