Die Mission des Zeichners
Nachricht von Kanzler Lorenzini.« Sie reichte ihm einen Umschlag. Dabei lächelte sie Cloisterman an. »Ich dachte, du würdest sie gleich lesen wollen, falls sie mit eurer Diskussion zu tun hat.«
»Hoffentlich sind ihm keine Bedenken wegen seiner Zusage auf Ihr Ersuchen gekommen«, murmelte Cloisterman.
»Bestimmt nicht.« Blain zog die Nachricht aus dem Umschlag und überflog sie.« Plötzlich umwölkte sich seine Stirn. »Also, so was...«
»Was ist los?«
»Der Papst ist tot.« Er reichte Cloisterman den Brief. »So wie es aussieht, werden bei Ihrem Eintreffen in Rom die Wirren eines Interregnums herrschen. Vorhin wollte ich Ihnen gerade sagen, dass der Papst den Prätendenten mit straffem Zügel führt. Jetzt aber sieht es ganz so aus« - Blain zuckte die Schultern -, »als wären die Zügel gerissen.«
Hätte Cloisterman gewusst, dass Estelle de Vries in diesem Moment nicht im über hundert Meilen weiter südlich gelegenen Rom weilte, sondern mehr als hundert Meilen weiter nördlich in Genua, dann wäre er mit Sicherheit in Florenz geblieben und hätte fröhlich darauf gewartet, dass die toskanischen Behörden seine Beute für ihn beschlagnahmten. Aber er ahnte es nicht einmal. Und Unwissenheit kann bisweilen ein nützlicher Verbündeter sein.
Die Reise von Turin nach Genua war auf aufgeweichten, schlammigen Straßen weder angenehm noch schnell gewesen. Unterwegs hatte in Spandrel indes ein Gedanke Gestalt angenommen, der ihn noch am selben Nachmittag, an dem die Reisegruppe in Genua eintraf, ins bunte Treiben des Hafens führte. Durch Zufall stieß er auf das britische Handelsschiff Wyvern, das über Orbitello und Neapel nach Palermo bestimmt war. Wie er vom Maat erfuhr, würde die Fahrt nach Orbitello zwei Tage dauern. Von dort wäre es mit der Kutsche nur noch eine Tagesreise nach Rom - eine viel schnellere Route als der Landweg. Darüber hinaus könnte man zahlenden Passagieren eine Unterkunft bieten. Und so wurden die beiden Männer sich schnell handelseinig.
Das Geschäft war günstiger, als Spandrel ahnen konnte, denn Orbitello lag in der winzigen österreichischen Enklave zwischen der Toskana und den päpstlichen Gebieten. Somit würden Estelle und er nie den Fuß auf toskanisches Territorium setzen. Kurz, Cloistermans Falle würde nicht zuschnappen.
Spandrel hätte sich zweifellos zufrieden die Hände gerieben, hätte er von diesem glücklichen Zufall gewusst. Aber er war und blieb ahnungslos. Trotzdem kehrte er überaus zufrieden zu dem Albergo, in dem seine Gefährten Zimmer gemietet hatten, zurück. Schon auf dem ruhigen Genfer See hatte sich Silverwood über Seekrankheit beklagt. Da würde er doch eine Fahrt über das Mittelmeer gewiss nicht ins Auge fassen. Außerdem lag Orbitello näher bei Rom als bei Florenz. Und hatten nicht Buckthorn und Silverwood vor dem Aufbruch verkündet, dass Florenz ihr Ziel sei? Nein, nein, nur zwei Passagiere würden morgen früh auf der Wyvern davonsegeln. Estelle hatte ihm versprochen, dass er sie bald für sich allein haben würde. Und jetzt war es so weit - sogar früher als erwartet.
Doch Spandrel hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Giles Buckthorn war nicht gewillt, sich durch die Seekrankheit seines Freundes von Estelle trennen zu lassen.
»Eine glänzende Idee, Spandrel. So glänzend, dass wir mitkommen. An Bord der Wyvern wird man sicher noch Platz für zwei weitere Passagiere finden.«
»Ach, ich weiß nicht...«
»Überlassen Sie das ruhig mir. Ich gehe sofort zum Hafen und miete uns eine Koje.«
»Aber für Schifffahrten ist Mr. Silverwood doch wirklich nicht geschaffen.«
»Unsinn. Den Genfer See hat er nur gespürt, weil das eine Pfütze ist. Was er braucht, ist das weite Meer.«
»Dann kommen Sie aber nicht nach Florenz.«
»Egal. Wir ändern eben unsere Route und sehen uns Florenz nach Rom an. Ah, la citta eterna! Noch dazu in der Gesellschaft einer wahrhaften Venus. Was könnte besser sein?« Buckthorn warf sich mit ausgestreckten Armen in die Pose eines Recken aus dem Altertum und grinste Spandrel mit roten Lippen an. »Nichts, würde ich sagen.«
23 Wohin alle Wege führen
Durch einen schicksalsschweren Zufall wurde das Verfahren gegen den Ersten Schatzkanzler Charles Spencer, den dritten Earl of Sunderland, vor dem Unterhaus für die Iden des März anberaumt. Juristisch gesehen war es ein einmaliger Prozess ohne jeden Präzedenzfall, denn traditionsgemäß hatten sich Adelige dem Oberhaus zu verantworteten. Der Umstand,
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