Die Mission
verhaftet wurde und ihre Sicherheit – ihre ganze Zukunft – von einem Polacken abhing, einem Spion und Meuchelmörder, wie er selbst eingeräumt hatte.
Es war mehr, als sie ertragen konnte.
Sie kam sich vor wie in einem Albtraum. So aufgelöst und verwirrt, dass sie nur noch schlafen und weinen wollte. Als sie die Geborgenheit ihres Kinderzimmers erreichte, war die Versuchung, sich aufs Bett fallen zu lassen und sich ihrer Verzweiflung hinzugeben, beinahe überwältigend, doch irgendetwas hinderte sie. In diesem Augenblick verwandelte sich Lady Trixiebell Dashwood von einem Schulmädchen und einer heimlichen RaTionalistin in die resolute junge Frau Trixie Dashwood.
In einem gewaltigen Willensakt verschmolz sie all ihr Elend und ihren Kummer zu einer Kugel aus Hass. Heydrich und das ForthRight hatten es auf sie und ihren Vater abgesehen; jetzt schwor sie ihnen Rache. Und Menschen, die nach Rache trachten, kennen weder Reue noch Gewissensbisse. Sie haben keine Zeit, um sich mit »wenn und aber« herumzuschlagen. Ihr altes Leben war zu Ende – aus und vorbei –, und wenn sie ein neues haben wollte, dann bestand die erste Aufgabe darin zu überleben. Dazu brauchte sie ihre ganze Kraft. Sie würde nie wieder weinen.
Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und sah dann mit einem entschlossenen Nicken in den Spiegel. Anschließend trat sie zu ihrem Schrank und nahm eine Schachtel aus der untersten Schublade. Darin befand sich das Kostüm, das sie während der Unruhen 1003 bei der Theatervorstellung zur Feier des Sieges über die Royalisten in der Akademie getragen hatte. Das Stück hatte den Titel »Vorwärts zum Sieg« gehabt, und Trixie hatte den Bösewicht gespielt – einen königstreuen Soldaten. Sie hatte eine Uniform tragen müssen. Es war das erste Mal, dass sie eine Hose anprobiert hatte, und sie hatte sie, trotz der gehässigen Kommentare ihrer Mitschülerinnen, sehr praktisch gefunden. Und wenn sie eine praktische und gute Verkleidung brauchte, dann heute Nacht.
Sie streifte die schwarze Sergehose über und schlüpfte in die Stiefel, die die RightNixes trugen, wenn sie ihre »Winterwanderung« zum Hub machten. Am Ende zog sie einen dicken Wollpullover und darüber eine alte, aber höchst nützliche Jagdjacke an. Nachdem sie einige Wertsachen in einen Brotbeutel gestopft hatte – das Hochzeitsfoto ihrer Eltern würde sie keinesfalls zurücklassen, die SS -Schergen würden es nur mit ihren dreckigen Pfoten besudeln; dazu einen Satz Unterwäsche und eine Geldbörse voller Goldguineen –, setzte sie sich hin, um auf Hauptmann Dabrowski zu warten.
Sie dachte darüber nach, wie ihr Leben im Warschauer Ghetto aussehen würde. Das angenehme verhätschelte Dasein, das sie in diesem Haus geführt hatte, war ein für alle Male beendet. Jetzt begann ein ganz neues und viel härteres Leben. Sie wusste nicht viel über das Ghetto, außer dass es das Dreckloch des ForthRight war. Dorthin hatte man alle minderwertigen Rassen deportiert – Polen, nuJus und, igitt: Shades. Außerdem hatten sich dort die ausgestoßenen Mischlinge, die HerEtikalistinnen, Royalisten, RaTionalisten, die Suff-Ra-Getten, ImPuritanisten, HimImperialisten und all die anderen Unzufriedenen und Wahnsinnigen vor dem Zugriff der Checkya in Sicherheit gebracht. Eine Kloake, in der man die ganze Jauche des ForthRight ausgekippt hatte.
Jedenfalls kein Ort, an dem sich eine respektable junge Frau herumtreiben sollte. Trixie musste lachen. Sie war keine respektable junge Frau mehr. Wenn man sie schnappte, würde man sie des Verbrechens gegen den Staat anklagen, und sie würde alle Bürgerrechte verlieren. Sie wäre eine NonNix, genau wie Lillibeth Marlborough. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass die Chekya Lillibeth erwischt hatte, und wenn Trixie sich über eines sicher war, dann, dass die Checkya sie niemals zu fassen bekommen würde … zumindest nicht lebend.
Die Séance war für acht Uhr abends anberaumt.
Vanka warf einen Blick auf seine Uhr. Nur noch eine knappe Stunde. Er streifte die Maske über den Kopf und atmete tief ein, um die flatternden Nerven zu beruhigen.
Als er spürte, wie Ella mit der Hand an seinem Arm entlangstrich, drehte er sich um und blickte in das breiteste und beruhigendste Lächeln, das er jemals gesehen hatte. Doch es beruhigte ihn nicht. Nichts konnte ihn jetzt noch beruhigen, aber bei allen Geistern, war sie schön! Er bremste sich. Es konnte doch nicht sein, dass er …
Er schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher