Die Mission
koscher, oder?«
»Würde dir aber zehntausend Guineen einbringen«, entgegnete Vanka leise.
Rivets dachte kurz nach und stellte sich vor, wie es wäre, wenn er so viel Geld ausgeben könnte. »Also wenn’s so is, koscher oder nicht koscher, Hauptsache, wir schaden niemandem.«
»Nein, tun wir nicht, aber es wäre keine schlechte Idee, Ella, wenn Sie sich anziehen würden. Wir wollen ja nicht, dass noch jemand Ihre Beine zu sehen bekommt.«
Während Ella ihre neuen Kleider einsammelte, fiel ihr etwas ein. »Wissen Sie etwas über Norma Williams?«
Vanka schüttelte den Kopf. »Nein, wahrscheinlich ist sie in der Kanalisation ertrunken. Oder können Dämonen wie Sie nicht ertrinken?«
»O doch, Dämonen sterben in der Demi-Monde genauso wie in der Realen Welt.«
»Dann sollten wir sie abschreiben. Ich rate dazu, dass wir uns auf unsere eigenen Probleme konzentrieren und uns nicht weiter über die verblichene und wenig betrauerte Norma Williams den Kopf zerbrechen.«
Ein knallharter, aber auch pragmatischer Rat, wenn Ella es sich recht überlegte. Aller Wahrscheinlichkeit nach lebte Norma nicht mehr, und falls doch, war die Chance, dass sie ohne PINC s Hilfe aus dem dunklen Labyrinth herausfand, gleich null. Sie, Ella, hatte ihr Bestes getan, um die Aufgabe, die man ihr erteilt hatte, zu lösen. Jetzt musste sie an sich denken und alles unternehmen, um heil und gesund nach Hause zurückzukommen.
Am Abend stieg Ella – gebadet, gekämmt und in ihr atemberaubendes neues Kleid gehüllt – mit Vanka die Stufen zum Portal des Resi empor. Ihr war fast schwindlig vor Glück. Sie ging zu einer aufregenden Vorstellung, obendrein mit dem Mann, in den sie verknallt war.
Da … sie hatte es selbst gesagt. Was sie getan hatte, war wahrscheinlich lächerlich, unmöglich und irrsinnig, aber sie hatte ihre Gefühle nicht länger verleugnen können. Wenn sie mit Vanka zusammen war, fühlte sie sich lebendig, lebendiger als je zuvor in der Realen Welt. Und heute Nacht, das schwor sie sich, würde sie sich amüsieren, egal, was mit diesem Louverture war.
Der Nachtclub platzte aus allen Nähten. Draußen auf dem Bürgersteig drängte sich eine riesige Menschenmenge und versuchte, den Türsteher zu überreden, sie reinzulassen. Offensichtlich wollte sich kein Berliner Josephine Bakers Auftritt entgehen lassen. Ella war nicht überrascht. In einem Sektor, in dem alles, was auch nur ein bisschen outré war, vom gefühllosen Arm des UnFunDaMentalismus zermalmt wurde, musste die Aussicht, eine so dekadente, unzüchtige und trotzdem vom Staat genehmigte Vorstellung wie die Revue Nègre zu sehen, einfach unwiderstehlich sein. Der Ansturm auf die Tische war so groß, dass sogar Vanka, der sich ansonsten seiner Überredungskünste so gewiss sein konnte, dieses Mal Zweifel hatte, ob es ihm gelingen würde, sich an dem Türvorsteher vorbeizumogeln.
Ella kannte solche Sorgen nicht. Sie deutete mit dem Kopf auf die drei Männer am Eingang. »Welcher von denen ist der Chef?«
Vanka sah auf und runzelte die Stirn. »Karl, der Größte von den dreien. Der mit dem gewachsten Schnurrbart. Aber es wird nicht viel bringen, soeben hat er jemanden abgewiesen, der ihn mit einem 10-Guineen-Schein bestechen wollte.«
An Vankas Arm stolzierte Ella mit kokettem Hüftschwung auf Karl zu. »Miss Ella Baker und Oberst Vanka Maykow, Mr. Toussaint Louverture erwartet uns«, verkündete sie.
Karl warf einen langen bewundernden Blick auf Ellas verführerisches, beigefarbenes Kleid und notgedrungen auf den verführerischen, karamellfarbenen Körper, den es vergeblich zu verhüllen suchte. Als er fertig war, sah er in seiner Liste nach. »Tut mir sehr leid, Miss Baker, aber ich habe Sie nicht auf der Gästeliste.«
»Ich habe mich auch erst vor einer Stunde entschlossen, die freundliche Einladung meiner Schwester anzunehmen.«
»Ihrer Schwester?«
Ella zeigte auf das Plakat am Eingang des Nachtclubs. »Ja, meiner großen Schwester Josie.«
»Ich wusste gar nicht, dass Miss Baker eine Schwester hat … äh … Miss Baker.«
»Nun, dann wissen Sie es jetzt.« Wenn überhaupt jemand in der Lage war, sich als Josephines Schwester auszugeben, dann sie, das wusste Ella. Sie hatte die richtige Farbe, dieselbe schlanke Figur, trug ein wunderschönes und über alle Maßen gewagtes Kleid, und sie hatte jetzt auch einen entschieden arroganten Tonfall angenommen. Sie hatte so oft versucht, wie Josephine Baker zu singen, dass sie sicher war, auch ihre Stimme
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