Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
wurde, wie sie ihre Augen aufriss, beiläufig versuchte sie in eine andere Richtung zu sehen. Nur wohin jetzt? Sie wusste, um welche Dose es sich handelte, und das heimliche Zuschieben dieser Dose zwischen Carl und diesem Mann konnte nur bedeuten, dass Carl Helene nicht ins Vertrauen ziehen wollte.
Die anderen brechen auf. Fanny möchte, dass wir mitgehen, tanzen.
Sie will immer in diesen Königsklub, sagte Martha etwas enttäuscht. Lasst uns ins Silhouette gehen, da ist es schöner. Martha schloss die Tür auf.
Gut, gehen wir. Carl sagte das förmlich. Kaum hörbar zog er die Nase hoch. Er trat jetzt zu Helene und fasste sie am Arm. Gehen wir tanzen, meine Liebe.
Helene stimmte zu, sie wollte sich nichts anmerken lassen.
Erst als sie später in einem schwach beleuchteten Ballsaal tanzten und Carl seine Hände nicht von ihren Hüften nahm und sie überall dort streichelte, wo er es sonst im Beisein anderer nicht tat, er sie bestürmte, als hätten sie sich seit Tagen nicht gesehen und sich nicht noch am Morgen geliebt, konnte sie ihre Gedanken nicht beruhigen und sich nicht länger zurückhalten. Also rief sie ihm zum Trotz der lauten Musik ins Ohr: Schnupfst du öfter?
Carl hatte sie verstanden, er musste ahnen, dass sie die Dose gesehen hatte. Carl hielt Helene jetzt mit ausgestreckten Armen von sich weg, senkte die Stirn leicht und sah sie an, er schüttelte den Kopf. Es war ihm ernst, sie musste ihm glauben. Sie glaubte ihm, nicht nur, weil ihr nichts anderes übrig blieb. Ihre Körper gehörten zueinander, wie er sie hielt beim Tanz, wie sie einander losließen und wiederfanden, sein Blick in ihre Augen, die Suche und Ungewissheit, in das Innere, zum Vertrauten, sein Kuss auf ihren Lippen, und die Zugehörigkeit, die sie zwischen ihm und sich spürte, war eine, die kleine Geheimnisse und Verschiedenheiten nicht zugestand oder gestattete, sie feierte die Geheimnisse, unbedingt.
Helene tanzte mit ihm bis in den Morgen. Einmal rief sie ihm zu: Hamburg oder Freiburg?
Helene, rief Carl zurück. Er zog sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr, wo du bist, will auch ich sein, seine Zunge berührte ihre Ohrmuschel, wenn meine Frau mich begleitet, gehen wir nach Paris.
An einem Februartag, an dem die Sonne von einem blauen Himmel strahlte und der auf den Straßen liegende Schnee schon rotbraun von der Asche war, stand Helene in der Apotheke vor ihrer Waage und wog für eine Kundin Salbeiblätter. Ein Pfund sollte es sein. Helene stieß die kleine Schaufel in das Glas und schüttete eine Schaufel nach der anderen in die Waagschale. Vielleicht wollte die Kundin in dem Salbei baden. Die Glocke läutete mit der sich öffnenden Tür. Helene blickte auf. Der kleine Junge, der lange vor den Bonbongläsern gestanden hatte, verließ, die Hände in den Hosentaschen, die Apotheke. Von draußen drang der Brandgeruch von Kohle und Benzin herein. Es war mittags, außer ihrer Kundin wartete nur noch eine ältere Dame auf Bedienung. Das Telefon klingelte. Der Apotheker erschien in der Tür des Hinterzimmers. Für Sie, Helene, rief er und sah sie erfreut an. Es war der erste Anruf, den er in all den Jahren für sie entgegennahm. Ich übernehme, gehen Sie nur. Der Apotheker drängte Helene zur Seite, Helene ging zum Telefon.
Ja bitte? Sie sagte es wohl zu leise und jetzt rief sie in das Rauschen: Ja bitte?
Hier ist Carl. Helene, ich muss dich sprechen.
Ist etwas passiert?
Ich will dich sehen.
Wie bitte?
Kannst du früh Schluss machen?
Es ist Mittwoch, da geh ich doch mittags. In einer Viertelstunde komm ich hier weg.
Helene musste sich ihr linkes Ohr zuhalten, um ihn besser zu verstehen.
Ausgezeichnet. Carl schrie. Wir treffen uns am Romanischen Café.
Wann?
Ein lautes Rauschen unterbrach sie.
Liebe! Um eins am Romanischen Café?
Um eins am Romanischen Café. Helene hängte den Hörer auf. Sie hatte den Hörer so fest auf ihr Ohr gepresst, dass jetzt die Schläfe wehtat. Als sie wieder nach vorne kam, wickelte der Apotheker eine Schachtel Veronal ein und nahm die Münzen der älteren Dame entgegen.
Sie dürfen sich schon umziehen, Helene, sagte er freundlich und mit einem listigen Lächeln, als stünde es in seiner Macht, ihr ein Treffen mit dem Liebsten zu ermöglichen.
Helene überquerte den Steinplatz. Tauwetter, unbeständig. Sie fragte sich, warum Carl sie so dringend sehen wollte. Es konnte sein, dass ihm der Philosoph aus Hamburg geantwortet hatte. Der aus Freiburg hatte ihm kurz vor Weihnachten eine
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