Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
diese Gesellschaft dort, furchtbar.
Wie wahr, sagte das zarte Wesen jetzt und schob eine kupferne Haarsträhne aus dem Gesicht.
Die Aufgekratztheit des Barons freute Helene, seine Erholung war sichtbar.
Carl Wertheimer, sagte der Baron jetzt, er bemühte sich um einen erfreuten Ausdruck. Wie schön, dass Sie auch gekommen sind.
Wir haben uns verlobt. Helene blickte den Baron herausfordernd an.
Ja, äh, ja, das habe ich schon gehört. Der Baron kratzte sich am Ohr. Leontine hat mir davon erzählt. Da möchte ich Glückwunsch sagen. Als falle ihm eben dies schwer, legte der Baron nun seine flache Hand auf die Stirnglatze und zupfte selbstvergessen mit Zeige- und Mittelfinger im dünnen Haar. Das zarte Wesen neben ihm trat unruhig von einem Bein auf das andere, es schaute freundlich in die Runde.
Mein Gott, ja, was wollte ich gerade sagen? Ich wollte Ihnen von dem philosophischen Symposium erzählen, dem Streit, der uns in Davos nicht erspart geblieben ist. Aber vielleicht stelle ich Ihnen zuerst das Fräulein Pina Giotto vor, wir haben uns in Arosa kennengelernt.
Dieselbe Pension, ja, das zarte Wesen pflichtete ihm jetzt erleichtert bei.
Das war so, nun, die Preise in Davos, davon machen wir uns hier keine Vorstellung. Und Arosa, ach, das gehört ja fast dazu. Der Baron nestelte an seinem Haar, sein Blick hing an Helene, er vergaß das Blinzeln.
Und liegt noch höher, behauptete das zarte Wesen jetzt.
Der Baron riss sich aus seiner Betrachtung und sah seine Begleitung unsicher an. Nur vorsichtig wagte er eine sanfte, aber abwehrende Handbewegung in ihre Richtung und ergriff das Wort.
Sie wissen sicherlich davon, Carl, der Streit zwischen Cassirer und Heidegger hat den ganzen Ort in Aufregung versetzt.
Schrecklich, ja, nickte das Fräulein Giotto. Der eine ist einfach abgereist.
Heidegger kündigte an, Cassirers Philosophie zu vernichten.
Ja, und da ist der eine einfach abgereist. Wo gibts denn sowas? Ich habe zum Heini gesagt, der ist ein Feigling. Kneifen tut man nicht.
Der Baron errötete jetzt und Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Ihm war die Äußerung von Fräulein Giotto wohl nicht ganz geheuer. Nun, es war etwas anders. Entschuldigend blickte der Baron von Carl zu Helene und wieder zurück zu Carl. Ich möchte Ihnen das erklären. Der Baron fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn und die glänzende Schneise auf seinem Kopf entlang. Es ging um Kant. Heideggers verwandelte Seinstheorie ist fundamental, sie ist radikal, er ließ Cassirer kaum zu Wort kommen, vielleicht fühlte sich Cassirer nicht ernst genommen. Ihm ging es um die symbolischen Formen. Er sprach immerzu vom Symbol. Vielleicht erschien seine über eilte Abreise den meisten deshalb als Zeichen, als Symbol seiner Niederlage.
Helene vermied es, mit Carl Blicke zu tauschen. Sie wollte ihn nicht verraten. Waren es nicht eben diese zwei Herren, denen Carl nach Hamburg und Freiburg Briefe geschickt hatte und auf deren Antwort er seit einigen Wochen wartete?
Als die Gesellschaft später um den großen Tisch Platz genommen hatte und nach vielen Gängen schließlich ein Soufflé auf Äpfeln gereicht wurde, unterhielt sich Carl mit Erich über die jüngsten Entwicklungen der Wirtschaft.
Kaufen, sage ich Ihnen, kaufen, kaufen, kaufen. Erich saß Carl und Helene an der Tafel gegenüber. Er hatte seinen Arm auf Fannys Stuhl abgelegt und schwenkte ein Glas mit Cognac. Erichs Sportlerhals erschien Helene heute noch massiger als sonst. Wir werden davon profitieren, glauben Sie mir. Das Platzen der Spekulationsblase ist für uns in Europa nur von Vorteil.
Sie sehen keine Gefahr?
Ach, New York. Sie sind noch jung, Carl. Sie haben vermutlich kein Geld. Aber hätten Sie welches, ich würde Ihnen den guten Rat geben. Der Zusammenbruch in Amerika wird uns nutzen. Erich beugte sich über den Tisch und sagte hinter vorgehaltener Hand, damit Fanny, die neben ihm saß und sich mit dem Herren zur anderen Seite unterhielt, ihn nicht hörte: Sie wird bald wieder eine reiche Frau sein. Ich konnte sie über reden, eine Hypothek auf die Wohnung aufzunehmen. In Kürze wird sie das ganze Haus kaufen, glauben Sie mir.
Fanny stand jetzt auf und erhob ihr hohes Kristallglas. Sie schlug den Löffel dagegen, aber das Glas war so dick, dass es kaum klirrte. Sie bat ihre Gäste um Aufmerksamkeit. Fanny lobte ihre Freunde, sie zählte die Jubiläen und Ehren einiger aus den letzten Wochen auf, nach jeder Preisung klatschte die Gesellschaft. Helene und Carl waren
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