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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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mit Mühe von der linken Seite hinüber zur rechten wenden konnte, dabei drückte sich die Beule unter der Bauchdecke entlang. Das Köpfchen in ihr saß jetzt manchmal so schmerzhaft auf ihrer Blase, dass Helene ständig hinaus auf die halbe Treppe musste. Wilhelm störte es, wenn sie während der Nacht den Topf benutzte, sie sollte hinausgehen, wenn sie musste. Das lange Tröpfeln, zu dem sich ihr Strahl in den letzten Wochen verändert hatte, musste Wilhelm unerträglich sein, vielleicht ekelte er sich jetzt vor ihr. Seit jener Auseinandersetzung im Frühjahr hatte Wilhelm sie nicht mehr angerührt, kein einziges Mal mehr. Anfangs dachte Helene, er sei nur etwas ärgerlich, aber seine Lust würde sich schon wieder regen. Sie kannte ihn doch, sie wusste zu gut, wie häufig ihn das Verlangen, die unstillbare Gier überkam. Doch nach Tagen und Wochen wurde Helene bewusst, dass sein Verlangen nicht mehr an sie gerichtet war. Ob es daran lag, dass sie ein Kind erwartete und er mit keiner Frau schlafen wollte, die ein Kind erwartete, weil er das Kind in ihr nicht aufstören wollte und ihm ihr Leib zunehmend missfiel, oder ob er schlicht die Folge seiner Lust so erschreckend und schlimm fand, das Bewusstsein dafür, dass ein Kind gezeugt worden war, das fragte sich Helene nur selten. Einmal war sie gegen Morgen aufgewacht und hatte ihn in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Bettes flach atmen hören. Seine Decke bewegte sich rhythmisch, bis irgendwann die Andeutung eines hohen Fiepens zu hören war, wie er die angestaute Luft hinausließ. Helene hatte so getan, als schliefe sie, und es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass sie ihn nachts so hörte. Er tat ihr nicht leid, sie war auch nicht enttäuscht. Eine angenehme Gleichgültigkeit erfasste Helene in Bezug auf ihren Ehemann. In anderen Nächten blieb er lange fort und roch sie die Süße eines Parfüms noch so eindeutig, wenn er morgens betrunken in ihr Zimmer stolperte und auf das Bett sackte, dass Helene wusste, er war bei einer anderen Frau gewesen. Auch in solchen Nächten gab sie sich schlafend. Es war nur gut, wenn sie einander in Ruhe ließen. Tags über, wenn Helene vom Einkaufen zurückkam, saubergemacht und die erste Wäsche eingeweicht und aufgesetzt hatte, las sie gern eine halbe Stunde. Jeder Mensch macht mal eine Pause, sagte sie sich. Sie las das Buch eines Jungen, der in Berlin eine Dienerschule besucht. Benjamenta heißt sein Institut. Gut denken, gut meinen. Die vollkommene Tilgung eines eigenen Willens, was für eine köstliche Idee. Öfter musste Helene schallend in sich hineinlachen, lautlos. Kaum jemals hatte sie sich von einem Buch so innig unterhalten gefühlt. Wenn sie lachte, wurde ihr Bauch ganz fest und hart, die Gebärmutter spannte sich, der große Muskel schützte das Kleine vor jeder heftigen Erregung. Sie hatte sich das Buch aus der verbotenen Bibliothek am Rosengarten ausgeliehen, weil es in der Volksbücherei keine Bücher mehr aus diesem Verlag gab. Helene dachte an das zauberhaft schwarze Lachen von Leontine, an die köstliche Zärtlichkeit von Carls Lippen, seine Augen, seinen Körper. Es war gar nicht so leicht, mit dem Arm an dem dicken Bauch vorbeizulangen, auch konnte sie nicht mehr, wie früher so gerne, sich ein Kissen zwischen die Schenkel drücken und auf dem Bauch liegend die Bewegungen suchen, der Bauch war zu dick, als dass sie auf ihm liegen konnte, jetzt streichelte Helene sich nur und dachte an gar nichts.

Es war mitten in der Nacht, als Helene von einem Ziehen im Leib aufwachte. Wilhelm war den November über in Königsberg, wo er wichtige Bauvorhaben besprechen und planen musste. Wieder zog es und der Bauch wurde hart. Helene zündete das Licht an, es war drei Uhr. Mit einem heißen Bad ließ sich noch so manche Geburt aufhalten oder vorantreiben. Helene kochte Wasser und füllte es in den großen Zuber aus Zink, in dem sonst nur Wilhelm hin und wieder ein Bad nahm. Helene stieg in den Zuber und wartete. Die Wehen kamen jetzt häufiger. Sie versuchte zu tasten, aber ihr Arm langte nicht weit genug um den Bauch und die Hand reichte nicht tief genug in die Öffnung, nur das weiche, offene Fleisch konnte sie spüren. Helene zählte die Pausen, alle acht Minuten, alle sieben Minuten, dann wieder alle acht Minuten. Sie goss heißes Wasser nach. Sieben Minuten, siebeneinhalb, sechs Minuten. Die Abstände wurden kürzer. Helene stieg aus dem Zuber und trocknete sich ab. Sie wusste, wo das Krankenhaus war. Oft

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