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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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traten, schlugen aus, und Ellenbogen boxten. Schimpfen und Pfeifen. Wer zu schwach war, wurde zur Seite gedrängt, blieb zurück. Peter spürte die Hand seiner Mutter in seinem Rücken, wie sie ihn durch die Menge schob, Peter hatte Kleiderstoffe im Gesicht, Mäntel, ein Koffer stieß ihm in die Rippen, und schließlich packte ihn seine Mutter von hinten und stemmte ihn hoch über die Schultern der anderen Menschen. Der Schaffner pfiff. Im letzten Augenblick kämpfte sich Peters Mutter den entscheidenden Meter nach vorn, sie drückte Peter, schob ihn, presste ihn mit aller Kraft in den Zug. Peter drehte sich um, er hielt ihre Hand fest, umklammerte sie, der Zug ruckte, setzte sich in Bewegung, die Räder rollten, die Mutter lief, Peter hielt sich an der Tür fest, hielt seine Mutter fest, er würde ihr zeigen, wie stark er war. Spring! rief er ihr zu. In diesem Augenblick hatten sich ihre Hände gelöst. Die auf dem Bahnsteig verbleibenden Menschen liefen neben dem Zug her. Jemand musste die Notbremse gezogen haben oder die Lok hatte Schwierigkeiten, die Räder quietschten auf den Schienen. Eine füllige Dame mit Hut rief von hinten Bockwürstchen, Bockwürstchen! Und tatsächlich drehten sich viele zu ihr um, sie blieben stehen, streckten und reckten sich, um zu sehen, wer da gerufen hatte und wo es die Würstchen gebe. Die Frau nutzte die Gelegenheit und kämpfte sich einige Meter nach vorn. Die Menschenmenge drückte Peters Mutter mitsamt dem Koffer in den Zug. Peter umschloss seine Mutter mit beiden Armen, nie wieder würde er sie loslassen.
    Im Zug standen sie im Gang, die Menschen schubsten und drängelten, die Kinder mussten sich auf die Koffer stellen. Peter stand gern auf dem Koffer, jetzt war er genauso groß wie seine Mutter. Wenn seine Mutter sich umdrehte, was sie immer wieder tat, kitzelten ihn ihre Haare, eine Locke war aus der gesteckten Frisur gefallen. Die Mutter duftete nach Flieder. Neben ihr blieb die Tür zum Sitzabteil offen, dort standen zwei junge Mädchen in kurzärmligen Kleidern auf ihren Koffern und hielten sich an der überfüllten Gepäckablage fest. Unter ihren Armen wuchsen spärlich erste Härchen, und Peter reckte sich über die Schulter seiner Mutter, um besser nach ihren Kleidern sehen zu können, die sich an gewissen Stellen wölbten. Unter seinem Kinn fühlte Peter das angenehme Reiben des Mantels seiner Mutter. Sie musste schwitzen, aber ihren Mantel hatte sie nicht zurücklassen wollen. Es ruckte, und der Zug fuhr langsam an. Am Fenster zogen die Menschen vorüber, die keinen Platz ergattert hatten. Eines der beiden Mädchen winkte und weinte, und Peter sah, dass auch unter dem anderen Arm feine Härchen sprossen.
    Halt dich fest, sagte seine Mutter zu ihm, sie deutete mit dem Kopf auf den Türrahmen des Abteils. Auf ihrem blonden, hochgesteckten Haar saß das Häubchen, noch immer trug sie es, trotz Mantel und obwohl sie doch gar nicht im Krankenhaus waren. Träumst du? Halt dich fest, herrschte sie ihn an. Doch Peter legte seine Hände auf die Schultern seiner Mutter, ihm fiel der Soldat ein, der hinter der Tür gehockt und geschluchzt hatte, Peter war froh, dass sie nun endlich verschwanden, und er wollte die Arme um seine Mutter schlingen. Da bekam er einen Ellenbogen in den Rücken und stieß mit solcher Wucht gegen seine Mutter, dass diese fast das Gleichgewicht verlor, der Koffer unter Peters Füßen schwankte, er kippte, und Peter fiel nun auf seine Mutter. Die Mutter stolperte in das Abteil. Niemals hätte sie aufgeschrien, sie knurrte nur widerwillig. Peter legte seine Hand an ihre Hüfte, um die Verbindung nicht zu verlieren. Er wollte ihr aufhelfen. Ihre Augen funkelten böse, Peter entschuldigte sich, doch die Mutter schien es nicht zu hören, ihr Mund blieb schmal verschlossen, sie drückte seine Hand von sich. Um jeden Preis wollte Peter nun ihre Aufmerksamkeit erobern.
    Mutter, sagte er, aber sie hörte ihn nicht. Mutter, wieder fasste er nach ihrer Hand, die kalt und kräftig war, und die er liebte. Im nächsten Augenblick ruckte der Zug, so dass die Menschen übereinanderfielen und die Mutter sich für die weitere Fahrt mit beiden Händen an Gepäckablage und Türrahmen festhielt, während Peter nun ihren Mantel ergriff, ohne dass sie es bemerken und ihn daran hindern konnte.
    Kurz vor Pasewalk blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Die Türen wurden geöffnet, und die Menschen drängten und schubsten sich gegenseitig aus dem Zug. Peter und seine Mutter

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