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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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um zu läuten, sie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht nach Carl umzudrehen, und Otta ihr öffnete, in Schürze und Häubchen, von Kopf bis Fuß angekleidet, zweifelte Helene, ob Carl anrufen würde. Er wollte ein Techtelmechtel, vielleicht, vielleicht nur einen Kuss, den er jetzt schon hatte, und womöglich war das alles, und sonst wollte er nichts.
    Es duftete nach Kaffee, die Standuhr schlug, es war halb sieben. Aus der Küche hörte Helene das vertraute Geklapper von Besteck und Geschirr, gewiss brühte die Köchin den Kaffee auf und bereitete ungeachtet der Abwesenheit ihrer Herrschaften ein Frühstück vor, schnitt den Mohnkuchen auf und rührte das Porridge an, das Fanny gerne aß, sobald sie etwas zu sich nehmen konnte. Helene spürte keinerlei Müdigkeit. Mit leichtem Schritt, der noch ganz einem Tanz von Trompete und Klarinette gehörte, ging sie in die Veranda und ließ sich in einen der niedrigen, gepolsterten Stühle fallen. Ihre Haarsträhnen, die kaum noch bis zur Nase reichten, rochen nach Rauch. Sie fühlte ihr Haar im Nacken, die Leichtigkeit, mit der sie ihren Kopf jetzt bewegen konnte, verlockte zu schnellen Bewegungen, führte man sie ruckartig aus, so fiel einem das Haar ins Gesicht. Helene zupfte sich die falschen Wimpern von den Lidern. Ihre Augen brannten vom Rauch der Nacht. Als sie die Wimpern auf den Tisch legte, dachte sie, es wäre schön, wenn sie ihre Augen danebenlegen könnte. Cleo sprang aus ihrem Körbchen unter dem Tisch hervor, sie wedelte mit ihrem aufrechten Stummelschwanz und leckte Helenes Hand ab. Die Zunge kitzelte, Helene musste an die Ziegen im Garten der Tuchmacherstraße denken, die sie als Kind manchmal gemolken hatte. Die Finger von oben nach unten pressend war ihr die Haut des Euters rau an den Handflächen erschienen, und man hatte die Hände gründlich waschen müssen, am besten in heißem Wasser mit viel Seife, der Geruch haftete wie Pech und Schwefel, er hatte etwas ranziges, ranzige Ziege. Sie war entkommen, dachte Helene erleichtert, und während sie es sich genüsslich im Pols ter bequem machte, schämte sie sich nur wenig und süß für diese Empfindung. Was galt das schon, entkommen? Mit Schnelligkeit ein Leben durchjagen. Konsequent, konsequent, flüsterte Helene zu sich, und als sie ihr Flüstern hörte, sagte sie lauter, mit fester Stimme die beschließenden Worte des Büchnerschen Lenz: Inkonsequent, inkonsequent. Helene streichelte dem Hund über das feste, lockige Fell. Was für ein liebes Tier du bist. Seine Schlappohren waren seidig und weich. Helene küsste den Hund auf die lange Schnauze, noch nie hatte sie Cleo geküsst; an diesem Morgen konnte sie nicht anders.

Das unerwartete Auftauchen Carl Wertheimers fand keine große Beachtung im Hause der Tante. Zwar rief er Helene nicht über das Telefon an, aber er ließ ihr durch einen Boten Blumen bringen. Helene war erstaunt, erschrocken, erfreut. Bergend legte sie ihre Hand um die Blüten, um die Luft der Blüten, die zu dicht war, ihren leichten Duft zu tragen. Wie einen Schatz brachte sie die Anemonen in ihr Zimmer. Dort war sie allein und froh, dass Martha erst spät kommen würde. Sie fragte sich, wo er jetzt noch Anemonen gefunden hatte. Sie betrachtete die Blüten, ihr Blau veränderte sich über den Tag. Die zarten Blätter wurden schwer.
    Als die Anemonen am Ende des Tages gewelkt waren, verbot sie Otta, die Blumen aus der Vase zu nehmen. Helene konnte nicht schlafen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie nur blau. Ihre Aufregung galt einer Begegnung, wie sie noch nie eine erlebt hatte, ein Zusammentreffen mit einem Menschen, mit dem es ein gemeinsames Denken, eine gemeinsame Neugier, ja, wie sie Martha anvertraute, eine gemeinsame Leidenschaft für die Literatur gab.
    Martha gähnte bei dieser Vertraulichkeit. Du meinst geteilt, Engelchen, nicht gemeinsam.
    Helene wusste jetzt umso deutlicher, dass ihr etwas ganz Einzigartiges widerfahren war. Sie wollte nicht länger um Martha buhlen, ihre Begegnung mit Carl war unvergleichbar und schien sich einer Martha nicht vermitteln zu lassen.
    Als es am Sonntag endlich klingelte und Helene im Flur Ottas Stimme hörte, die höflich und mit deutlicher Stimme nachfragte: Carl Wertheimer? sprang Helene auf, griff zu dem seidenen Jäckchen, das Fanny erst kürzlich abgelegt und ihr geschenkt hatte, und folgte Carl in den frühen Sommertag.
    Sie nahmen die Wannseebahn und spazierten zum Stölpchensee. Carl wagte es nicht, sie an der Hand zu nehmen. Ein

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