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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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Hase sprang vor ihnen über den Waldweg. Durch die Blätter glitzerte von unten das Wasser, und in der Ferne wölbten sich weiße Segel. Helenes Hals war wie zugeschnürt, sie fürchtete plötzlich, dass sie stottern könnte und sich ihre Erinnerung an das Gemeinsame und ihre Freude als eine einzelne entpuppte.
    Da begann Carl: Ist nicht das Genügen der Natur in sich, das Selbstherrliche des Augenblicks, wie Lenz es uns sichtbar macht, die Lobpreisung des Lebens?
    Der Frevel an Gott.
    Sie meinen den Zweifel, Helene, das Zweifeln sei erlaubt, der Zweifel ist kein Frevel.
    Vielleicht sehen Sie das anders, für uns Christen ist es so.
    Protestantin, habe ich recht? Carl Wertheimers Frage enthielt keinerlei Spott und so nickte Helene schwach. Es erschien ihr plötzlich ungültig, was sie über ihre Zugehörigkeit zum lutherischen Glauben und sein Wesen äußerte, nicht weil sie den Atheismus und die andere Geburt ihrer Mutter bedachte, sondern weil ihr Gott hier so fern und von Büchner aus der Welt gejagt schien. Wer wollte schon aus Gott Alles erkennen?
    Darf ich Ihnen etwas anvertrauen, Carl? Helene und Carl blieben an einer Weggabel stehen, rechts ging es zur Brücke und links tiefer in den Wald. Die Entscheidung für einen der beiden Wege konnte nicht getroffen werden, ehe sie ihm gesagt hätte, was ihr auf dem Herz lag, bleiern.
    Wissen Sie, in den letzten Jahren, seit wir in Berlin sind, habe ich mich geschämt vor Gott, wann immer er mir einfiel, und ich wusste, dass ich ihn über viele Tage und Wochen vergessen hatte. Wir sind hier in keine Kirche gegangen.
    Und gab es Ersatz?
    Wie meinen Sie das, Carl?
    Hat Ihnen etwas Freude gemacht, können Sie glauben?
    Nun ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich mir diese Frage nicht gestellt.
    Carl ballte eine Faust und stemmte sie in den Himmel: Und es war ihm, als könnte er die Welt mit den Zähnen zermalmen und sie dem Schöpfer ins Gesicht speien; er schwur, er lästerte.
    Lachen Sie nicht, Sie machen sich lustig.
    Helene, ich mache mich doch nicht lustig. Das würde ich nie wagen. Carl zügelte seine Fröhlichkeit so gut er konnte.
    Lachen Sie nur. Mit dem Lachen nahm der Atheismus schon von Lenz Besitz.
    Sie glauben, ich wäre Atheist? So einfach ist das nicht, Helene. Tatsächlich kennt Gott das Lachen nicht. Und ist das nicht schade? Carl steckte seine Hände in die Hosentaschen.
    Auf die Idee, Sie mit Lenz zu verwechseln, wäre ich nicht gekommen. Helene zwinkerte ihm zu. Endlich wusste sie, für welchen Augenblick sie in den letzten Wochen stundenlang vor dem Spiegel mit den geschliffenen Lilien gestanden und das Zwinkern mit einem Auge geübt hatte. Dann wurde sie ernst und sah Carl streng an. Ich wollte Ihnen etwas anvertrauen.
    Ich weiß, ich schweige. Und Carl schwieg wirklich.
    Es dauerte eine Ewigkeit, ehe Helene das Schweigen brechen konnte.
    Ich schäme mich nicht mehr, das ist es, was mich entsetzt. Verstehen Sie? Ich war in keiner Kirche mehr, ich habe Gott vergessen, über lange Zeit habe ich mich geschämt, wenn er mir einfiel. Und jetzt? Nichts.
    Gehen wir weiter. Carl schlug den Weg zur Brücke ein. Die Wolken türmten sich auf, dicke weiße Wolken, einzeln, der blaue Himmel dahinter war unerschütterlich. Auf der anderen Seite der Brücke lag ein Lokal mit Garten. Es gab kaum einen leeren Tisch im Garten, die Gesellschaften mit Sonnenschirmen und Kindern unterhielten sich laut, auch sie schienen an keinen Gott mehr zu denken. Carl wählte einen Platz. Er sagte, dieser Platz gehöre ihm, erst gehörte er nur seinen Eltern, und seit er alleine hin und wieder herkomme, gehöre er ihm. Helene stellte sich ein Leben mit Eltern in einem Gartenlokal schön vor. Carl wies zu einem anderen Tisch und flüsterte ihr zu, dass dort häufig die Maler säßen. Helene erschien der Zauber dieser Welt so fremdartig, dass sie am liebsten aufgestanden und gegangen wäre. Aber jetzt griff Carl nach ihrer Hand und sagte ihr, dass sie ein schönes Lächeln habe, das wolle er öfter sehen.
    Carl Wertheimer kam aus gutem Hause, wohlhabend und gebildet, sein Vater war Professor für Astronomie, und so konnte trotz wirtschaftlicher Einbußen der letzten Jahre dem Sohn ein Studium ermöglicht werden. Der Kellner brachte Himbeerbrause. Carl zeigte in die nordöstliche Richtung, dort hinten am Ufer stehe das Haus seiner Eltern. Seine zwei Brüder waren im Krieg verschollen, der älteste sei umgekommen, seine Habseligkeiten waren geschickt worden, aber die Eltern weigerten sich, an

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