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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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Wasser, sagte er. Während sie am Ufer entlanggingen, ihre Schuhe auszogen und über die vom Tag gespeicherte Hitze des Sandes staunten, sprach Carl vom Theater. In kurzen Sätzen einigten sie sich auf eine gemeinsame Vorliebe für klassische Tragödien auf der Bühne und romantische Literatur zu Hause, doch die Verständigung, das Nicken und Jasagen, war vor allem ihrer Ungeduld geschuldet, sie wollten sich nicht näher verbergen, sie wollten sich nahe kommen und suchten einen Anschluss an ihr gemeinsames Denken. Die rötlichen Stämme der märkischen Kiefern gefielen Helene, nichts Heimatliches, nur Berlin. Die langen Nadeln lagen gut zwischen ihren Fingern. Warum waren sie immer zu zweit? Unter der hölzernen Kruste verband ein feines Häutchen die beiden Kiefernnadeln. Ihr schien es, als entzünde die Abendsonne den Wald. Der Tag neigte sich, die Kiefern dufteten schwer, Helene fühlte sich benommen, sie wollte sich auf den Waldboden setzen und da bleiben. Carl hockte sich neben sie, er sagte, er gestatte ihr nicht, im Wald zu bleiben, hier gebe es wilde Tiere und dafür sei sie schlicht zu zart.
    Martha war es nur lieb, dass sich Helene eines Freundes annahm und sie umso unbehelligter mit Leontine leben konnte. Doch war es, als habe Carl Wertheimers Erscheinen die Sprache zwischen den Schwestern geraubt. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Die bislang so geliebte Wohnung der Tante erschien Helene von Tag zu Tag unwirtlicher. Das lag weniger daran, dass die Tante einen Gegenstand nach dem anderen ins Pfandhaus brachte, erst den kleinen Samowar, der ihr angeblich nicht so lieb wie der große gewesen sei, dann das Bild von Corinth, welches ihr nie gefallen habe, sie habe die junge Frau mit Hut ekelerregend gefunden, wie sie jetzt behauptete, wäre ihr da sein Selbstbildnis mit Skelett schon lieber gewesen, und schließlich auch das Grammophon, dessen Wert sich so wenig verleugnen ließ wie ihre Liebe zu ihm.
    An vielen Tagen saß Fanny mit Erich mittags in ihrer kleinen Veranda und zankte über die Pläne des Tages. Wenn er aufstand, weil er genug von ihr hatte und den Tag lieber ohne sie verbringen wollte, rief sie ihm hinterher, dass es durch die Beletage hallte: Ich wünsche mir eine Affenliebe! Erdrücke mich jemand!
    Es klang bettelnd und spottend zugleich, und Helene sah zu, dass sie weder Erich noch Fanny über den Weg lief. Sie schloss die Tür zu ihrem Zimmer. Wie süß waren die Stunden gewesen, die sie einmal allein in der Wohnung verbracht hatte. Aber diese Stunden gab es anscheinend nicht mehr, wann immer Helene nach Hause kam, räumte jemand in der Küche, rief jemand laut ins Telefon, saß jemand auf der Chaiselongue und las.
    Du liebst mich nicht! Schallte es durch die Zimmer, Helene konnte nicht anders als lauschen, die Stille kannte kein Erbarmen, es folgte die umfangreiche, schier nicht enden wollende Deklinierung ihrer Vermutung. Auf Zehenspitzen huschte Helene durch den Flur, sie musste zum Badezimmer. Erst wenn Fanny am Boden lag und behauptete, ohne Liebe nicht leben zu können, reichte Erich ihr seine Pranke. Er zog sie vom Boden zu sich herauf und stieß sie vor sich her bis in ihr Schlafzimmer. Helene rechnete ihre Ersparnisse zusammen, sie würden nicht einmal für einen Monat Miete einer Dachkammer langen. Die Bücher für den Gymnasialkurs waren teuer, und Fanny gab zu verstehen, dass sie dieses Geld nicht mehr aufbringen könne. Helene konnte froh sein, dass sie die ersten zwei Jahre Gym nasialkurs schon Anfang letzten Jahres bezahlt habe, denn jetzt sei ihr Geld auch mal alle, weiter wisse sie leider nicht. Helene hatte aufgehört, Gifte aus der Apotheke mitzubringen, das Vertrauen zwischen der Tante und Helene hatte sich nicht erzwingen lassen, und so wurde auch die Freundlichkeit im Umgang mit Helene etwas nachlässig. Es kam vor, dass Helene die Wohnung betrat, Otta ihr den Mantel abnahm und Helene ins Zimmer trat, um Fanny zu begrüßen, Fanny aber von ihrem Buch nicht aufsah oder sich tief schlafend gab, während der Tee aus ihrem Glas neben der Chaiselongue dampfte.
    Die Nächte auf dem schmalen Bett neben Leontine und Martha wurden eine Qual, da Liebe und Lust den beiden schier nicht langweilig wurde. Der Baron war dazu übergegangen, Helene bekümmerte Briefe zu schreiben. Er sehe sie nur noch selten, sein Herz blute und erkalte. Sein Leben sei fade ohne sie. Doch die Angebetete antwortete nicht. Nach anfänglicher Ratlosigkeit über seine Erwartung und die Bekundungen einer

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