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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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zurückgesetzt meint, übergangen, nicht Ernst genommen. Doch heute sind sie noch fast nüchtern und das Blut rauscht langsam.
    »Und wie verhältst du dich gegenüber Tom?«
    » Er soll mir aus den Augen gehen. Gut, dass er nicht zum Essen kam und jetzt bei seinen Freunden ist. Am besten ist, er zieht endlich aus. Dann brauche ich ihn nicht mehr zu sehen.«
    » Er ist dein Sohn.«
    » Er ist ein Ankläger.«
    » Er ist noch jung. Und wer jung ist, begeht Fehler.«
    » Dann soll er dafür die Verantwortung tragen. Das mussten wir auch. Du und ich und alle. Keine Tat bleibt ohne Folgen.«
    Lotte zieht die Lippen schmal. Ihre hohen Wangenknochen treten hervor. Ihre dunklen Augen verschleiern sich und sie sieht älter aus, als sie ist. Sieht aus, wie ein Mensch, den die Zeit abgeschliffen hat, harte Stürme, die von allen Seiten kamen, stets scharf und kalt, wie Messer, die Riefen und Markierungen in das Holz des Lebens schnitzen, gestrahlter Sand auf weicher Rinde. Und leer blickt sie vor sich hin. Sie trauert um Muttel und sie trauert um ihre Familie, die sich ohne Muttel, die stets der Mittelpunkt all dessen war, nun kaum noch begegnen wird. Sie trauert um Ottilie, der das Schicksal hart mitgespielt hat und sie trauert um die Vergangenheit, da ein Kind noch aus duftender Haut und weichen, vertrauensvoll tastenden Fingern bestand. Vielleicht trauert sie auch um die allumfassende Erektion, den Aufschrei und den Nachhall des Glückes. Hier im Haus haben sie das Glück nicht gefunden, denn die Zeit überholte sie mit brachialer Geschwindigkeit. Es hatte Zeiten gegeben, das lugte das Glück um die Ecke, winzige Momente, Nachmittage, manchmal auch Abende, aber es waren zu wenige geblieben.
    » Er will Schriftsteller werden«, sagt Frank. »Für ihn sollte das Wort Bedeutung haben. Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist wie der Unterschied zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. Das sollte Tom wissen. Oder es lernen.«
    » Er ist einsam. Bärbel hat ihn verlassen. Er hat seine Arbeit verloren ...«
    » Das alles begreife ich, Lotte. Trotzdem frage ich mich, warum er so reagiert? Weil das typisch für sein Alter ist? Oder steckt mehr dahinter? Man sollte nie etwas Böses von einem Menschen behaupten, wenn man es nicht gewiss weiß, sagte Mark Twain. Und falls es so ist, sollte man sich fragen: Warum erzähle ich es?« Frank starrt vor sich hin. »Darum geht es, Lottchen. Warum macht er so etwas? Ausgerechnet gegenüber den Menschen, die ihn über alles lieben?«
    Lotte setzt zu einer Antwort an, aber Frank wischt sie weg. »Wir lassen uns den Abend nicht verderben, oder? Schau hin - es geht los!«
    Auf der Mattscheibe ertönt die bekannte Melodie und Am laufenden Band mit Rudi Carrell beginnt.

12
     
    Thomas betritt das Gerichtsgebäude.
    Es scheint Jahre her und doch sind die Bilder präsent.
    Sonnenschein. Sommerhitze. Sie sitzen nebeneinander, Gefreiter Lars Schmidt, Gefreiter Volker Trampop und Thomas Wille und sie halten die Angeln ins Wasser. Der Seitenarm der Elbe führt reichlich Fische und einen oder zwei werden sie fangen, schließlich ist Unteroffizier Markus Trecker ein passionierter Angler, der die richtigen Plätze kennt, und Trecker hält nicht viel von Disziplin. Er hat sie alle mit Angeln ausgestattet und ist derzeit im Wachhäuschen, wo er am Telefon Bericht ablegt. Dann wird er sich wieder zu ihnen gesellen, zu seinen drei Wachleuten, die halbnackt und gut gebräunt den Tag genießen. Stuffz Ditschig und seine zwei Neckermann-Offiziere sorgten dafür, dass das Vergnügen nur von kurzer Dauer war.
    Eine Rechtspflegerin entschuldigte sich.
    Der Termin sei überflüssig geworden.
    Markus Trecker sei leider verstorben.
    Wie das geschehen sei?, wollte Thomas wissen. Ihr langes Gesicht sprach Bände und Thomas verließ das Gebäude mit hängendem Kopf.
    Eine schnarrende Stimme erschreckt ihn.
    »Sie hier?«
    Thomas sieht auf und direkt in das Frettchengesicht von Stuffz Ditschig, der in Uniform ist. Eine Sekunde lang fragt sich Thomas, warum der Mann zur Anhörung nicht in seiner Heimatstadt weilt, als der Mann mit der schwarzen Hornbrille sagt: »Er hat sich umgebracht.«
    Thomas hat es geahnt, aber die unumstößliche Tatsache aus dem Mund dieses Abschaums zu hören, setzt allem die Kro ne auf. Er spuckt aus und ballt die Fäuste. »Das freut dich, nicht wahr? Wieso bist du eigentlich hier?«
    » Mein lieber Wille. Haben wir nie darüber gesprochen? Ich wohne

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