Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
nur ein paar Kilometer von hier entfernt. Ich gebe zu, ich hätte Sie an manchem Wochenende mit dem Auto mitnehmen können, aber ich fand, es sei besser für Sie, mit der Deutschen Bundesbahn zu fahren. Das stählt.«
    Thomas baut sich vor dem Stabsunteroffizier auf. Er ist mehr als einen Kopf größer und in seinen Händen zuckt es. »Wie hat er sich umgebracht?«
    » Aufgehängt. Vorgestern. Zu spät, um Sie und mich zu benachrichtigen. Habe ich soeben aus sicherer Quelle erfahren. Der Narr hat Windvogelband benutzt. Muss sich ganz schön gequält haben, als es ihm in den Hals geschnitten hat. War vermutlich total verzweifelt. Ihre und meine Aussage waren die Letzten, die man aufnehmen wollte. Danach wäre Trecker für ein paar Jahre in den Knast gewandert. Hätte sich ziemlich oft nach der Seife bücken müssen. Wie man hört, war er schwul. Lebte mit einem Verlagsmann in Berlin zusammen. In einer Wohnung. Das muss man sich mal vorstellen. Diese Schweine. In einer Wohnung. Ich frag mich, wer von denen die Frau gespielt hat. Dieser Trecker geht zur Bundeswehr und glotzt uns auf die Schwänze. Na ja – nun hat er ausgeglotzt.«
    Thomas’ Mund schnappt auf und zu.
    Ditschig grinst. Seine Augen hinter den Brillengläsern leuchten. Autos fahren vorbei. Pfützenwasser spritzt auf. Kastanien klatschen auf das Pflaster. Irgendwo lachen Kinder. Es riecht nach Abgasen und Feuchtigkeit.
    » Glauben Sie mir, Wille ... ich habe lange überlegt, ob ich meine Aussage modifizieren soll. Schließlich ist man ja kein Unmensch und Fehler machen wir alle mal. Als ich dann aber hörte, dass er eine Schwuchtel ist, wunderte mich gar nichts mehr. Immer ganz sanft vorneweg. Hat sich vermutlich im Wachhäuschen einen runtergeholt, als ihr Jungs in der Sonne geangelt habt ... mit den nackten Oberkörpern, auf denen Schweiß glänzt.« Ditschig leckt sich über die Lippen. »Oder hat er Sie befummelt, Wille? Jetzt können Sie’s ja sagen.«
    » Halt die Schnauze, Ditschig«, grunzt Thomas. »Halt deine blöde Schnauze, oder ich hau dir eine rein.«
    Und die Erinnerung wird wach. Da ist sein Schrank, der korrekt eingeräumt ist , und dort ist das Hemd, auf dessen Kragen Ditschigs Schweiß tropft und letztendlich ist da der Mann, der aus dem Büro des Hauptmanns kommt, mit Tränen in den Augen. Und warum, um alles in der Welt, hat der Kerl so feiste feuchte Lippen im Gesicht? Warum grinst er, als hätte er persönlich am Windvogelseil gezogen, während der arme Trecker daran baumelte und zuckte?
    Und warum ist er noch nicht Feldwebel? Was ist seiner Karriere in die Quere gekommen?
    »Ich wüsste nicht, dass wir uns duzen, Wille.  An Ihrer Stelle wäre ich ganz still. Vielleicht lasse ich mir sonst was Besonderes einfallen. Vielleicht, dass ich Sie und Trecker in einem der Boote erwischt habe, während Ihr Schwanz grad in seinem Arsch steckte. Und schließlich kommt die nächste Reserveübung ganz gewiss. Die Welt ist klein, Wille. Wie gesagt, ich wohne nur zehn Minuten mit dem Auto von hier entfernt. Ich kann jederzeit ein Auge auf Sie haben. Was glauben Sie wohl, wem man mehr glaubt? Ihnen, dem Tunichtgut, oder mir, dem angesehenen Soldaten?«
    Thomas erinnert sich nicht, jemals im Leben so aufgebracht gewesen zu sein. Wenn es einen Begriff für Zorn gibt, erlebt er ihn. Hitze wallt durch seine Adern, seine Muskeln zucken, sein Schädel will schier zerspringen und vor den Augen senkt sich ein roter Vorhang.
    »Glauben Sie, ich habe vergessen, was Sie getan haben, Wille? Sie haben versucht, mich lächerlich zu machen. Wäre es nach mir gegangen, hätte man Sie wegen Wehrkraftzersetzung drangekriegt, so wie Sie die anderen Soldaten aufgewiegelt haben. Aber der Hauptmann, dieser Stiesel, wollte nichts davon wissen. Auch wenn es mir schwerfällt, sollen Sie wissen, dass er meine Beförderung abgelehnt hat, woran Sie offensichtlich nicht unschuldig sind.«
    » Ich wüsste nicht, was das mit mir zu tun hat«, sagt Thomas und weiß es ganz genau. Vermutlich unterstellte man diesem Frettchen Führungsschwäche ... oder Größenwahn.
    » Ich habe nicht vergessen, was Sie mir angetan haben. Und ich werde tun, was ich kann, um Sie wieder vor die Flinte zu kriegen und dann, Wille, mache ich Sie fertig. Haben sie verstanden? Ich werde Sie schleifen, bis Sie Rotz und Wasser spucken. Ein paar Anrufe beim Kreiswehrersatzamt und Sie werden für die nächsten sechs Wochen gezogen. Das kriege ich hin, wenn ich es will. Irgendwann wird man mich befördern

Weitere Kostenlose Bücher