Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
den Roman im Gesamtprogramm unterbringen solle. Man wünsche ihm viel Glück, und wenn er es wünsche und Rückporto schicke, sende man ihm sein Manuskript zurück.
Thomas ist sicher, dass niemand auch nur einen Blick in seinen Text geworfen hat.
Die Tränen der Anderen ist ein gutes Werk. Es schildert die Erlebnisse von Kriegsflüchtlingen und ihre Traumata. Wie lebt es sich damit nach dem Krieg? Wie kann man Kinder erziehen, wenn man selbst keine Kindheit hatte? Wie geht man mit verlorener Unschuld um und damit, den düsteren Kern des Menschen erlebt zu haben?
Thomas knüllt den Brief zusammen. Es sammelt sich. Rowohlt, Bertelsmann, Droemer, Verlage, die ihn nicht wollen. Zehn Manuskripte hat er mühsam fotokopiert und weggeschickt. Vier stehen noch aus. 360 Seiten Manuskript, viel Papier, ein Stapel, an dem er sechs Monate lang geschrieben und überarbeitet hat.
Und nun die nächste Absage und dazu ein Brief mit grünem Umschlag, der genauso schlechte Nachrichten bringt. In ein paar Wochen muss er zum Amtsgericht, wo seine Aussage gegen den ehemaligen Unteroffizier Markus Trecker gefragt ist. Er hat die Angelgeschichte vergessen, zu weit entfernt ist die Bundeswehrzeit. Nun kocht es wieder hoch und er fragt sich, was man von ihm erwartet.
Thomas dreht die Musik leiser. Grand Funk Railroad , eine US-Band, die hart und laut sind. Er nimmt den Spiegel hoch und betrachtet das Umschlagsbild. Es zeigt einen Mann, der an der Spitze eines Fahnenmastes kauert, eine Hand pathetisch wirkend in die Luft gehoben, als wolle er den Vollmond hinter sich greifen, während eine Flagge weich im Wind flattert. Ein draufgängerisch wirkendes Foto, heroisch, dramatisch und erhaben. Thomas kennt dieses Bild, diesen Schattenriss, hat es aber lange nicht mehr gesehen. Im Bild steht: Griff zu den Sternen – Deutschland erholt sich!
Thomas wirft das Magazin auf den Tisch und blickt aus dem Fenster. Es schneit. Kälte fegt über Deutschland hinweg, Kälte ist auch in Thomas’ Seele.
Er hatte sich vorgenommen, ein Schriftsteller zu sein. Hatte nach der Arbeit jeden Tag hart an seinem Roman gearbeitet. Kaum Partys, keine Frauen. Seine sozialen Kontakte verkümmern, und ein schwer greifbarer Zorn lauert in ihm wie ein schlafendes Tier. Was ist geschehen mit ihm? Was macht ihn so traurig?
Die Tatsache, dass Bärbel ihn verlassen hat, nur drei Monate, bevor er nach Bergborn zurückkehrte?
Die Tatsache, dass er viel weniger trinkt in letzter Zeit, es aber zu brauchen meint, obwohl er berauscht kaum die Tasten der Schreibmaschine findet und am nächsten Tag vieles neu schreiben muss?
Die Tatsache, dass er noch immer bei seinen Eltern wohnt und sich vorkommt wie ein großes Kind, das nichts auf die Reihe kriegt?
Oder liegt es daran, dass sein Vater nicht hingeht, und das Geld fordert, das das Foto seinem Besitzer einbringen wird, denn es zeigt ihn, Frank Wille.
Thomas geht die Treppe runter ins Wohnzimmer und klatscht das Magazin auf den Tisch. Vater blickt auf. Seine Augen sind müde, sein Gesicht gefurcht. In der Küche werkelt Mutter.
»Wie lange willst du dir das noch angucken?«, fragt Thomas.
» Du meinst das dämliche Bild?«
» Du weißt genau, wer das ist. Damals, als ihr Flaggen geklaut habt, Mutter hatte Geburtstag, und am nächsten Tag hingen die Fetzen wieder. Der Mann auf dem Foto bist du. Als du die Flaggen wieder zurückgehängt hast.«
» Na und?«
» Derjenige, der das Foto machte, verdient sich damit eine goldene Nase.«
» Soll er.«
Thomas, sowieso schlecht gelaunt, knurrt: »Du hast mir beigebracht, wie man sich wehrt. Und jetzt soll ich mit anschauen, wie du dir das ganze Geld durch die Lappen gehen lässt?«
Frank Wille reckt sich und legt die Tageszeitung weg. »Spar dir deine große Klappe, Sohn. Diese Sache damals war illegal, war Diebstahl, und ich konnte froh sein, dass man uns nicht dabei erwischte.«
» Offensichtlich bist du erwischt worden, oder?«
Vater zuckt mit den Achseln und Thomas verhakt die Daumen hinter dem Jeansgürtel. »Wir erkundigen uns beim Spiegel , wer das Foto gemacht hat. Hat man dich gefragt? Hast du deine Einwilligung dafür gegeben? Nein, hast du nicht. Die halbe Welt kennt das Bild und du tust so, als wüsstest du von nichts.«
» Es reicht!«, donnert Frank Wille. Seine Augen blitzen. »Vergiss nicht, mit wem du sprichst.«
Mutter kommt ins Wohnzimmer. Sie schaut sorgenvoll drein und wisc ht sich die Hände an einem Handtuch ab.
Frank hebt das Magazin hoch ,
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