Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Kann man Autos nicht aus Kunststoff bauen, oder wenigstens Teile davon?
Auf der Straße in Bergborn, renovierte Zechenhäuser, wie auf eine Schnur gereiht, geht es zur Sache. Jedermann wäscht sein Auto, denn es ist Samstag. Aus den Transistorradios scheppert die Berichterstattung der Bundesliga. Man schäumt das Auto ein, spritzt es mit dem Schlauch ab und die Straße gleicht einer großen Badewanne, in der das liebste Kind gereinigt, gehegt und gepflegt wird. Es riecht nach Seife, Wachs, Bier und Zigaretten. Man genießt die Stunden, denn bald kommen der Winter und die Feuchtigkeit, bei der sich Salz und Nässe durch das Blech fressen. Nicht wenige polieren wie versessen. Beschützen muss man sein Auto, denn der Verfall geht schneller, als man zugucken kann.
Daran, an manchen Tagen den Vergaser trockenzulegen, hat man sich gewöhnt. Motorhaube auf, Deckel ab, mit einem Lappen wischen, manchmal die Zündkerzen raus, reinigen, wieder rein, alles kein Problem. Autos springen dann an, wenn sie es wollen. Und im Winter sind die Nachbarschaftshilfe und das Fremdstartkabel obligatorisch. Schlimmer ist der Rost. Aber dagegen helfen Schmirgelpapier, Kitt und Farbe. Auch innen muss das Gefährt rein sein. Gegen den Zigarettenrauch helfen kleine, aus Pappe gestanzte Tannenbäume, die einen markigen Duft verströmen.
Prenzel, zwei Häuser weiter, montiert an seinen Opel Manta einen Spoiler aus schwarzem Gummi. Er bohrt und schraubt.
Krazcinski, drei Häuser weiter, umkreist seinen knallgelben Ford Capri, auf den er stolz ist und tippt mit dem Finger auf Rostflecken und getrocknete, eingebrannte Fliegenscheiße, als entdecke er das Übel der Welt.
Es wird Bier getrunken und die Stimme des Kommentators überschlägt sich. Ab nächsten Samstag ist Winterpause.
Tom kommt aus dem Garten und wirft die Aufgerauchte weg. Er blickt zu seinem Vater und gleich wieder weg. Frank macht sich Sorgen um ihn. Seitdem er seine Arbeit verloren hat, treibt der Junge wie ein Stück Wrackholz in der Brandung. Frank weiß genug über Alkohol und andere Drogen, um zu erkennen, dass Tom aus der Spur ist. Sein Zorn ist verraucht. Wenn er nun schweigt, ist das seine Vorstellung von Konsequenz, auch wenn Lottchen das nicht gerne sieht. Dennoch kann es nicht ewig so weitergehen. Er wird mit Tom reden müssen. Es wird Zeit, dass der Junge auszieht und seine eigenen Wege geht. Er ist schon längst flügge und hat sich im elterlichen Haus eingenistet wie ein fetter Vogel mit gebrochenen Flügeln. Das findet Frank ungesund, irgendwie nicht richtig.
Tom schleicht ins Haus.
Frank würde gerne mit ihm das Auto waschen, Dinge, die Vater und Sohn gemeinsam tun sollten, damit sich so etwas wie Verbundenheit entwickelt. Er weiß um die Sorgen seiner Kumpel, denen es ähnlich geht. Sie verlieren ihre Kinder an eine neue Zeit, in der Terroristen Politiker entführen und töten, und Drogen auch nicht vor den Vernünftigen Halt machen. Das hat man nicht gewollt nach dem Krieg. Anstatt eine Generation heranzuziehen, die ihre Eltern achtet und begreift, hat sich alles ins Gegenteil verkehrt. Die jungen Leute verachten ihre Eltern und werfen ihnen den Krieg vor. Sie verabscheuen Autoritäten und halten die Politiker für Gauner. Männer lassen sich aus Protest die Haare lang wachsen und Frauen schenken ihre Unschuld jedem, der sie haben will, denn jetzt gibt es die Pille und Kinder will man sowieso nicht in diese beschissene Welt setzen, die jeden Tag von einem Atomkrieg zerstört werden kann. Ihre Türen zieren Poster mit der Aufschrift »Bullen müssen draußen bleiben!« Das halten sie für Freiheit, obwohl sie sie nicht gewonnen, sondern besetzt haben. Sie begreifen nicht, dass eine enorme Freiheit und Freude darin liegt, die Grenzen anzuerkennen, die einem am meisten wehtun.
Vielleicht, denkt Frank, ist man auf der Mitte des Weges in eine neue Zukunft, doch mit dieser Jugend kann er sich das Ziel nicht vorstellen. Möglicherweise eine Zukunft ohne Krieg, doch was nutzt das, wenn der Kampf von innen kommt und Staat und Familie aushöhlt, und somit die letzten großen Werte zerbombt?
Ist er schon so alt, dass er sich nicht mehr auf Veränderung einstellen kann?
Oder beneidet er die Freiheit der Jugend, die ihm geraubt wurde?
Der Schwamm huscht über den Autolack, als versuche er, Erinnerungen wegzuwaschen.
Prenzel hat den Spoiler befestigt und ruft seinen Sohn. Sein Ruhrpottakzent ist dunkel wie Kohle und der Zug, mit der er die Bierflasche leert, lang wie
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