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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Mittagsessen. Dann ist Mittagsschlaf angesagt. Nicht selten war das die Zeit, in der er und Ottilie fleißig fernsehen durften.
    Thomas hört seinem Vater nicht zu.
    Zuerst das Wort zum Sonntag , danach die Lottozahlen. Und Vater doziert. Die Lottozahlen werden gezogen. Holterdipolter, die Kugeln klappern, und es gibt wieder einen Gewinner. Zwischen 500.000 und 750.0000 Mark im Schnitt für sechs Richtige. Mutter kaut auf der Unterlippe und starrt auf den Lottoschein, der schon seit 20 Uhr parat liegt, genauso wie der Kugelschreiber. Sie tippt mit der Kugelschreiberspitze auf den Schein und im Fernsehen fängt der Spätfilm an. Der Mann, der Sherlock Holmes war mit Hans Albers.
    Vater steht auf und dreht den Ton leiser.
    Mutter scheint zu rechnen, jedenfalls ist sie ganz konzentriert.
    Thomas entkorkt die nächste Bierflasche und blinzelt zu Lydia, die heute fahren wird. Vater tut es ihm nach und Mutter starrt wild zum Fernseher.
    »Was ist mit dir, Lottchen? Haben wir sechs Richtige?« Vater grinst und trinkt.
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein.«
    » Aha«, lacht Vater, eindeutig angeheitert. »Sag ich ja immer. Man sollte sich auf sich selbst verlassen, denn man kriegt nichts geschenkt im Leben. Nur mit der Hände Arbeit ...«
    » Fünf Richtige mit Zusatzzahl.«
    » Nur mit der Hände Arbeit schaffen wir ...«
    » Fünf Richtige mit Zusatzzahl, Frank!«, sagt Mutter und der Schein schwebt wie ein trockenes Blatt vor ihre Füße.
    Alles erstarrt und sogar die Filmmusik scheint leiser zu werden. Thomas verschluckt sich und prustet Bier auf den Teppich. Vater, der wieder zu rauchen angefangen hat, fällt die Zigarette aus der Hand, wonach er sich rasch bückt, damit es keinen Brandfleck gibt. Lydia seufzt vernehmlich und Mutter stiert vor sich hin, als würde sie gleich der Schlag treffen. Sie hebt den Schein auf und küsst ihn.
    Irgendetwas zwischen 30.000 und 50.000 Mark bedeutet das, weiß Thomas, aber noch will er nicht glauben, was Mutter sagte.
    » Her damit!« Er greift nach dem Lottoschein.
    Mutter schüttelt den Kopf. »Ich habe die Zahlen dreimal überprüft. Es stimmt. Wir haben fünf Richtige mit Zusatzzahl.«
    Noch sehen sich alle schweigend an. Auch ein bisschen betreten. Denn so etwas gibt es doch nicht, oder? Nicht bei den Willes!
    Dann bricht es aus ihnen hervor, und das Wohnzimmer der Willes erbebt von Jubel, Geschrei und Lachen. Und Mutter sitzt auf dem Sessel und weint still vor sich hin.
     
     
    Später, viel später – Thomas ist sehr betrunken – sagt Lydia im Auto zu ihm: »Siehst du? Das meinte ich. Es gibt in jeder Familie Glück und Freude. Heute haben wir das erlebt. So etwas solltest du aufschreiben. Das würde viele Leser freuen.«
    Thomas grunzt und singt vor sich hin. Dann nuschelt er: »Man kann zehnmal reicher sein, aber deswegen ist man noch nicht zehnmal glücklicher.«
    Lydia verdreht die Augen, zeigt ihm einen Vogel und konzentriert sich auf die Autofahrt.

5
     
    Frank Wille betrachtet seinen Verband und bedankt sich für die Verletzung bei der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute, die als Holzstatue auf dem Wohnzimmerschrank steht. So kann er zuhause bleiben und muss nicht unter Tage einfahren. Er wird sich vorerst nicht gesundschreiben lassen. Seinen Hausarzt, Dr. Wendsbach, den man auch Dr. Sitz nennt, denn der Alte erhebt sich selten aus seinem Stuhl, scheint Untersuchungen lästig zu finden, und seine erste Frage lautet stets: »Wie lange wollen wir dieses Mal daheimbleiben?« Wobei er reflexartig nach dem Block mit den gelben Scheinen greift, den Kugelschreiber schon gezückt. Er weiß, dass er in jeder Kneipe ausgehalten wird und das genügt ihm.
    Für Frank ist das praktisch. Und die Knappschaft ist großzügig. Da kann man an einem gebrochenen Knochen monatelang laborieren. Hoffentlich fällt nicht auf, dass alles verheilt ist und der Verband nur noch Dekoration.
    Er lehnt sich in den Sessel zurück und fragt sich, während Lotte einkaufen gegangen ist, was sie mit dem vielen Geld machen werden.
    Vielleicht einen maßangefertigten Sitzstuhl für Jasmina? Eine neue Einbauküche? Eine Spülmaschine sogar? Lottchen hätte was dagegen, denn sie glaubt noch immer, dass Handarbeit besser ist, aber er wird sie überreden. Ein Urlaub wäre schön, vielleicht nach Tunesien, wo in letzter Zeit alle hinfahren und davon schwärmen. Oder nach Mallorca. Sich nochmal jung fühlen, mit den Zehen im Sand spielen und im Meerwasser baden. Ein neues Auto kommt nicht in

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