Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Frage, denn Frank fährt nur noch selten. Wie wäre es mit einer neuen Gartengarnitur? Und selbstverständlich sollen Tom und Lydia auch etwas bekommen. Fünftausend Mark. Genau die richtiger Summe, findet er und nippt am Kaffee.
Er steht auf und tritt ans Fe nster. Gleich kommt Lottchen vom Aldi zurück, mit vollen Einkaufstaschen. Mal sehen, was es zu essen gibt. Ihr fallen immer so schöne Sachen ein und alles schmeckt vorzüglich. Dort hinten kommt sie. Ihren Gang liebt er noch immer, ihre schlanke Figur macht noch was her und einige alte Bergmänner, die Nachtschicht haben, verdrehen die Köpfe. Sie geht schnell und zielbewusst und langt an der Haustür an.
Er geht in den Flur, um ihr die Taschen abzunehmen.
Sie steht vor ihm mit geweiteten Augen und lässt die Plastikbeutel fallen. Es scheppert und ein Joghurtbecher explodiert und versaut die Raufaserwand.
Sie geht an ihm vorbei, er folgt ihr in die Küche. Sie dreht sich um, ihr Gesicht zuckt und sie wirft sich an seine Brust. Er drückt sie an sich, streichelt ihre Haare und weiß nicht, was das soll, doch sofort erfährt er es.
»Ich habe den Lottoschein verloren«, schluchzt sie. »Er ist spurlos verschwunden.«
Sie suchen in der Wohnung, stülpen Mülleimer auf den Kopf, überprüfen alle Taschen, das Portemonnaie, doch sie finden nichts.
Je mehr sie suchen, desto unruhiger wird Frank. Er ist ein Mann, der versucht, analytisch zu denken.
Wo hast du den Schein zuletzt gesehen? Was hast du mit ihm getan? Wo hast du ihn hingelegt? Was ging dir durch den Kopf, bevor du zum einkaufen gegangen bist?
Es nützt nichts, der Schein zeigt sich nicht.
Lotte Wille weint dabei, die Tränen strömen unaufhaltsam. Sie ist nervös, zittert am ganzen Körper und schließlich steckt sie Frank an.
»Verdammt, denke nach!«, schnauzt er. Eigentlich ist er ein ruhiger Mensch, jemand, der erst denkt und dann handelt, jemand, der resümiert und dann spricht, doch Lottchens Aufregung bringt in ihm eine Saite zum Schwingen, die er fast vergessen hat.
» Du bist doch sonst so überlegt, also denke nach!«
» Schreie mich nicht an!«, verteidigt sie sich.
» Wo, um alles in der Welt, hast du den Schein hingetan?« Noch immer zu laut, doch Frank reißt sich zusammen.
» In die Einkaufstasche getan, wie immer. Bei meinem Portemonnaie.«
» Und wo warst du?«
» Nur beim Aldi.«
» Hast du die Tasche geöffnet?«
» Selbstverständlich habe ich die Tasche geöffnet.«
Frank senkt missmutig den Kopf. »Dann hast du den Schein verloren. Gehe zu Aldi und suche ihn.«
» Komm mit, Frank, bitte.«
» Ich war in meinem Leben in keinem Supermarkt und werde das auch nicht ändern.«
» Vier Augen sehen mehr als zwei.«
» Pah!«
Er ist zornig. Endlich bahnt sich die bittere Realität ihren Weg. Soeben hat er noch das Geld in Gedanken ausgegeben, und nun ist es weg.
»Dann gehe ohne Schein. Man wird dir das Geld trotzdem geben.«
» Nur, wenn man sechs Richtige hat. Sonst nicht«, jammert Lotte.
Sie spielt leidenschaftlich Lotto und kennt sich aus.
»Aber das gibt es doch nicht. Da haben wir einmal Glück und du ... du ...« Er reißt sich zusammen. Sie lehnt am Türrahmen, ihr Blick ist weit und glasig, ihre Lippen beben und Tränen rinnen über ihre Wangen. So hat er sie noch nie gesehen, noch nie in mehr als fünfundzwanzig Jahren. Er sieht sie mit anderen Augen, sieht eine verletzbare Frau, die er am liebsten an sich drücken und trösten möchte.
Wäre da nicht das viele Geld, das sie verloren haben, bevor sie es besaßen.
»Vielleicht irgendwo hier in der Wohnung?«, fragt er.
Sie schieben alle Möbel weg. Frank schwitzt wie ein Schwein, aber es ist ihm egal. Er hustet und krümmt sich, aber sie verändern die Wohnung, denn schließlich könnte der Lottoschein auch unter den Wohnzimmerschrank gerutscht sein oder hinter den Kachelofen oder ...
Sie finden ihn nicht.
» Ich gehe in den Laden und suche«, sagt Lotte tapfer. Sie strafft sich und ihre hohen Wangenknochen drücken sich durch die Gesichtshaut. Sie nimmt den Hausschlüssel, und bevor Frank etwas sagen kann, ist sie davon.
Frank weiß, dass um den einen Verlust die echtesten Tränen geweint werden. Aber hatte Shakespeare nicht gesagt, dass es keinen Sinn mache, um einen Verlust zu weinen, sondern man mit frohem Mut versuchen solle, ihn zu ersetzen?
Er betrachtet seinen Finger, den er nie wieder würde strecken können. Ein Verlust. Er denkt an seine Geliebte in Frankreich und
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