Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
konnte, ist weggelaufen. Ein Schlachtfeld der Stille mit unzähligen Körpern, die regungslos liegen. Blut, wohin man blickt und Fleisch, so viel Fleisch. Nur einen Meter entfernt ein Arm mit einer Uhr daran, die noch tickt, als stehe die Welt nicht still.
Zwei, drei andere, es handelt sich um Männer in Lederhosen, scheinen auch Glück gehabt zu haben. Sie sind kalkbleich im Gesicht, ihre Lippen zittern und ihre Augen sind weit aufgerissen.
Keiner kümmert sich um den anderen, denn jeder hat damit zu tun, den Schock zu verdauen.
Lydia!
Wo ist Lydia?
Thomas sieht sie auf dem Asphalt liegen. Die Explosion hat sie einige Meter weit getragen. Sie ist seltsam verrenkt und unter ihrem Körper hat sich eine Blutlache gebildet. Erst jetzt erkennt Thomas den Grund dafür. Vater ist schon bei ihr. Mutter schluchzt.
Lydias rechter Fuß ist verschwunden.
Frank Wille beugt sich über das Mädchen, denn man muss die Wunde abbinden, damit sie nicht zu viel Blut verliert. Ohne zu zögern, reißt er sich das Hemd vom Leib, um daraus einen Verband zu machen, handelt instinktiv, wie ein Soldat der Fremdenlegion, und ihm wird schwarz vor den Augen. Er hält sich irgendwo fest und der Boden unter seinen Füßen gibt nach. Er schnappt nach Luft, hustet, schnappt erneut nach Luft und erkennt mit bitterer Klarheit, dass sein Atem aussetzt. Seine Lunge will nicht mehr. Der Tag war anstrengend, die Explosion echot in seinen Ohren und sein Körper revoltiert, oder ist es die Psyche? Er würgt, greift sich an die Brust und Lydias abgerissener Fuß ist unwichtig geworden, denn er ringt um sein Leben.
Er hat davon gehört, dass ein solcher Tod grausig sein soll und das stimmt. Sein Kopf arbeitet glasklar und sein Körper schüttelt sich unter einer Panikattacke. Sein Geist schreit, dass er weiterleben will, während seine Lunge sich dem verweigert und sein Herz so schnell schlägt, dass es gleich aussetzen wird.
Es wird schwarz vor seinen Augen und noch immer schreit er nach innen, versucht dem Körper Lebensbefehle zu geben, doch dann verschwindet das alles und es wird still und ruhig.
8
Mike genießt das Bad, das Arndt ihm eingelassen hat. Das heiße Wasser ist tröstlich, der nach Apfel duftende Badeschaum wohltuend. Das Badezimmer ist mit allerlei Nippes vollgestellt, sauber und hell. Eine schönere Wohnung als seine. Die Wohnung eines Mannes, der sich noch nicht vollends aufgegeben hat.
Mike räkelt sich und schließt die Augen. Er staunt, dass er mit Arndt in dessen Wohnung gefahren ist, andererseits fragt er sich, warum er staunt. Er ist Gast in der Wohnung eines Mannes, den er versuchte, zu beschützen. Ein bisschen Dank hat er sich verdient.
Die Tür öffnet sich und zaghaft blickt Arndt ins Badezimmer. »Geht es dir gut?«
Mike bläst aufgesetzt fröhlich in den Badeschaum. »Bestens.«
» Nach dem Bad versorge ich deine Wunden.«
Mike grinst. Liebe Güte, wie sich das anhört. Als sei er ein Ritter, der die Prinzessin gerettet hat, die ihn nun pflegt.
»Soll ich deinen Rücken waschen?«, fragt Arndt.
Mike verzieht das Gesicht. Bevor er antworten kann, greift Arndt hinter sich und hält in jeder Hand ein gefülltes Sektglas. »Ein Drink für einen Helden«, sagt er und kommt herein.
Bier wäre Mike lieber, aber er spürt die Dankbarkeit seines Gastgebers und will ihn nicht brüskieren. Von Sekt wird er Sodbrennen kriegen. Na, was soll’s ... Aber von einem Mann den Rücken waschen lassen? Nein, das kann er alleine. Arndt setzt sich auf den Rand der Badewanne und sie stoßen an.
» Stell dich nicht an wie ein Mädchen«, sagt Arndt mit erstaunlich fester Stimme. Er nimmt einen Schwamm von der Ablage, taucht ihn ins Wasser und Mike beugt sich mehr aus Reflex als willentlich vor. Ah, das tut gut. Er leert das Sektglas und genießt die kreisenden Bewegungen des Schwamms auf seiner Haut. Nach einer Weile sagt Arndt: »Und zurücklehnen.«
Erneut gehorcht Mike. Er sieht den gutaussehenden schlanken Mann an und wird in dessen Augen etwas gewahr, das ihn irritiert. Der Schwamm kreist auf seiner Brust. Mike schließt die Augen. Schon lange hat er sich nicht mehr so wohlgefühlt. Für einen Moment vergisst er, dass Arndt ein Mann ist, stattdessen denkt er an Marita, die er noch immer zu lieben meint. Und stellt im selben Moment fest, dass Marita das bei ihm nie gemacht hat. Sie wollte stets alleine duschen und alleine baden, da sie der Meinung war, dies sei ihr ganz persönliches und intimes Refugium, das
Weitere Kostenlose Bücher