Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
streng sie behandelt werden.
Sie müssen stundenlang exerzieren und haben nur wenig Freizeit. Doch dann ist es so weit. Es geht ins Gelände. Mindestens eine Woche werden sie draußen sein, in Zelten schlafen, EPA essen oder Hühner rupfen und braten, durchs Unterholz kriechen und Nachtmärsche absolvieren. Das kann Spaß machen und sorgt für Abwechslung, denn auf den Lkws gibt es auch manche Bierkiste.
Thomas telefoniert noch einmal mit seiner Mutter. Vater geht es wieder besser. Auch Lydia hat das Schlimmste überstanden und man spricht jetzt schon von einer Reha-Institution, in der man sie mit einer Prothese vertraut machen wird. Damit hat Thomas Probleme. Er ist jung und Lydia ein hübsches Mädchen, doch gesund sollte sie sein. Beweglich und attraktiv. Jemand, mit dem man sich im Schwimmbad oder am Strand sehen lassen kann. Thomas weiß nicht, wie seine Gefühle dazu sind. Er hatte bisher noch nicht den Mut, sie sich einzugestehen und ist deshalb einigermaßen froh, der Antwort durch die Reserveübung vorübergehend entgangen zu sein. Wenn er Lydia anruft, muss er sich den grausigen Beinstummel nicht anschauen und so tun, als störe es ihn nicht. In den nächsten vier Wochen wird er zu einer Entscheidung kommen. Verdammt, es ist wirklich nicht erregend, wenn sich der Partner vor dem Sex erst die Prothese abschnallt. Nein, das ist es nicht.
Sie bauen im Wald, in der Nähe der Elbe, die Zelte auf. Es ist ein eisiger Frühwintertag. Es wird viel gelacht, und als sie sich die Gesichter mit Schlamm färben und Blätter an die Helme stecken müssen, kommen sie sich vor, wie bei Apokalypse Now , nur dass es hier viel kälter ist. Sie tarnen sich vor den Vögeln, den Füchsen und dem imaginären Feind. Der ist stets in der Nähe. Und so heben sie Unterstände aus, stoßen die Spaten und Hacken in eiskalte Erde und dort verstecken sie sich und leeren Bierflaschen.
Alles könnte lustig sein, wäre da nicht das Grollen, welches sich über die Heide bis an den Waldrand fortsetzt. Und was dann geschieht, lässt Thomas’ Atem stocken. Ein gigantischer Schatten schiebt sich auf ihren Unterstand zu und erst auf den zweiten Blick begreifen die Soldaten, dass es sich um einen Panzer handelt. Die Ketten wirken unvorstellbar mächtig, das Motorengeräusch scheint aus einer anderen Welt zu kommen und die schiere Größe des Stahlmonsters ist einschüchternd. Der Panzer nähert sich ihnen und Lehm bröckelt in den Unterstand. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starren Thomas und seine Kameraden nach oben auf den Panzer, der sich über sie schiebt wie eine Wand aus Stahl und – liebe Güte – auf der Stelle dreht. Schatten und Dreck, der nach unten fällt. Ölige Streben, gigantische Panzerketten und ein Lärm, der einen taub macht. Dann fährt er wieder weg und Thomas merkt erst jetzt, dass sein ganzer Körper in Schweiß gebadet ist. Das war ein entsetzliches Erlebnis und er wird es nie vergessen.
Erstklassig inszeniert und überraschend.
Damit hat niemand gerechnet. Ist es im Krieg nicht auch so? Dinge geschehen, mit denen man nicht rechnet. Bevor die Männer zu Gedanken kommen, hallen Befehle. Sie müssen sich im Lager sammeln und strammstehen. Höhere Dienstgrade springen vom Lkw, wo sie es schön warm haben und gemütlich, denn dort gibt es eine Standheizung, Bier und Schnaps.
Und dann steht der kleine Mann vor Thomas.
Feldwebel Ditschig.
Er lächelt süffisant und reibt sich das Kinn, als schmerze es noch immer von Thomas’ Schlägen. »Sie glauben nicht, wie sehr ich mich darauf gefreut habe, Hauptgefreiter«, sagt er.
» Tja, alte Freunde sollten sich nie aus den Augen verlieren«, antwortet Thomas.
» Sie sind mir zugeteilt worden. Sie und zwei Kameraden. Wie ich sehe, sind auch Trampop und Schmidt an Bord. Wunderbar. Das Anglertrio.« Er grinst wie ein Frosch. »Dann kommen Sie mal gleich mit mir.«
Sie folgen dem kleinen Mann.
»Um es kurz zu machen, Männer«, sagt Ditschig. »Die Nacht bricht herein und es soll heute Temperaturen von Minus fünfzehn Grad kriegen. Bei diesen Temperaturen sollte man sich bewegen, sonst kriegt man Frostbeulen am Arsch und das werden mir Ihre Frauen nicht verzeihen.«
» So wie Sie?«, fragt Trampop. »Auf dem Lkw an der Heizung?«
» Keine Sorge, Männer. Ich bleibe bei Ihnen. Sie erhalten von mir eine Karte, einen Kompass und drei Taschenlampen. In der Karte ist ihr Weg eingezeichnet. Er führt Sie zu einer verlassenen Scheune. Dort erwarte ich Sie. Sie
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