Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
angetrunken.«
» Nicht mehr, Maddi. Die Zeiten sind vorbei. Kaum noch Alkohol, keine Studentinnen und ...«
Sie holt tief Luft. »Du lügst. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre es, Henry. Du belügst mich. Was führst du im Schilde?«
Er schluckt hart, seine Lippen verzerren sich und seine Augen blitzen. Aha, so schnell kann man ihn aus der Fassung bringen. Immer noch der Alte. Wenn man ihn durchschaut, fällt die Maske.
»Erinnerst du dich an Straßburg? Und an die langen Straßen? Du warst noch jung ... nun bist du eine angesehene Dozentin, die in Kürze eine Professur erhalten will.«
Sie seufzt. »Nein, Henry. Sage mir, dass ich mich irre.«
» Was meinen Sie damit?«, mischt Hugo sich ein.
Madeleine fährt zu ihm herum. »Halt die Klappe!«
Henry kichert. »Und wieder Angst? Wer keine Angst hat, besitzt keine Phantasie. Und davon hast du genug. Phantasie.« Er lässt das letzte Wort schwingen und Madeleine starrt ihn erschüttert an.
» Du gehst jetzt, Henry, sonst schütte ich dir meine Cola über den Kopf«, sagt sie kalt.
Er steht auf und rückt den Stuhl richtig herum. »Du hörst wieder von mir.«
Und während er sich entfernt, begreift Madeleine, was soeben geschehen ist. Bevor sie ihre Gedanken formen kann, fragt Hugo: »Kann ich dir helfen?«
Sie schüttelt langsam den Kopf. »Nein, kannst du nicht. Oder vielleicht doch ... verschwinde, Hugo. Lass mich alleine. Dein Getränk geht auf meine Rechnung.«
Er zögert. Dann stopft er die Zigaretten in die Jacke, zieht ein beleidigtes Gesicht, sieht sich um, als hoffe er, jemand würde ihm helfen, sein Rückgrat geradezubiegen, dann macht er sich davon, die Schultern nach vorne gebeugt , und verschwindet hinter einem Brunnen im Getümmel der Studenten.
Madeleine blickt ihm hinterher, ohne ihn wahrzunehmen.
Henry versucht, sie zu erpressen. Mit einer dunklen, alten Geschichte. Damit, dass sie ein paar Monate in Straßburg auf dem Straßenstrich war, um sich ihr Studiengeld aufzubessern. Verdammt, das haben viele Studentinnen gemacht. Es war weniger schlimm, als man glaubt. Die Männer waren zumeist nett und schüchtern und viele erleichterten sich schon, wenn man ihnen das Kondom überstreifte.
Und Henry weiß, dass Mutter eine vermögende Frau war.
Er weiß jedoch nicht, dass Mutter eine Forderung mit dem Erbe verbunden hat. Mutter, die eine Galerie besaß und erfolgreicher war, als Madeleine jemals geahnt hatte. Eine Mutter, die ihre Tochter nie finanziell unterstützte, eine harte geizige Frau mit stahlblauen Augen, vor der Madeleine sich fürchtete.
Die Aufgabe ist: Sie muss ihren leiblichen Vater finden, denn dieser bekommt die Hälfte des Erbes. Als Wiedergutmachung für Dinge, die Mutter ihm angetan hat, von denen Madeleine nichts Genaues weiß. Nun ... sie hat ihm die Tochter verschwiegen, das ist ja was, aber es sc heint noch vieles mehr geschehen zu sein. Es geht um zwei Millionen France, fast siebenhunderttausend Mark.
Es war kein Problem, den Mann zu finden. Ihre Anwältin hatte keine zwei Tage dafür benötigt.
Und als hätte Henry es geahnt, ist er aufgekreuzt, um sie zu erpressen.
Als wisse er, dass Madeleine Durand, geborene Legrange, von ihrer Anwältin erfahren hat, wo ihr Vater wohnt und wie er heißt.
2
Die deutsche Nationalmannschaft steht bei der Europameisterschaft 1984 mit einem Bein im Halbfinale. Nur noch schnell ein Unentschieden gegen Spanien und alles ist klar. Chance auf Chance, um in Führung zu gehen und dann der Schock in der Endphase der ersten Halbzeit.
Oskar, inzwischen so dick, dass er Frührente eingereicht hat, wirft vor lauter Erregung eine leere Bierflasche zu Boden. Doch Lotte sieht nicht hin, dafür wie gebannt auf den Bildschirm.
Der tschechoslowakische Schiedsrichter gibt einen Foulelfmeter gegen Deutschland.
» Der Pellewämser hat ne Meise!«, schimpft Oskar.
Frank hustet und stößt Worte hervor, die man nicht versteht. Lotte schüttelt unentwegt den Kopf. Thomas murmelt Flüche und Lydia geht in die Küche. »Das ertrage ich nicht. Ist völlig ungerecht, der Elfer!«
Toni Schumacher bringt sich in Stellung und alle schreien begeistert und erlöst, als er den Ball hält.
»Das isser!«, ruft Oskar und hebt die Flasche auf. »Unser Toni. Der kann’s!«
» Lydia, bring mal Bier mit!«, ruft Lotte.
Frank lacht krächzend. »Das können nicht viele. War kein leichter Schuss.«
Es bleibt beim 0 : 0. Deutschland ist im Halbfinale. Noch zwei Minuten und das Spiel ist aus. Frank
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