Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
und Oskar, beide nicht mehr nüchtern, grinsen fröhlich und Lotte hebelt einen Kronkorken hoch. Thomas klopft begeistert mit der Hand auf den Tisch. Lydia sieht ihn fragend an.
»Halbfinale«, sagt Thomas zufrieden.
Dann , wie aus heiterem Himmel und ohne, dass man die Vorbereitung mitkriegt, landet eine Flanke der Spanier auf dem Kopf ihres Liberos Maceda - und aus ist der Traum. Der Ball zappelt im Netz und Schumacher starrt ihm hinterher, als träume er.
Aus! Aus in der Vorrunde!
Kurz vor Schluss!
Gibt’s das denn?
» Nun schmeißen se den Derwall raus«, stellt Oskar fest, nachdem sich alle beruhigt haben und abgepfiffen ist.
Lotto verdreht die Augen. »Es waren nur noch zwei Minuten, liebe Güte.«
» Scheiße!«, schimpft Thomas.
Frank sagt: »Würde mich nicht wundern, wenn sie Beckenbauer zum Trainer machen.«
Oskar lacht. »Den? Nee, wirklich nicht. Der hat zu viel mit seiner Hot Voläh zu tun, mit den feinen Pinkels. Außerdem hat er, wie man sagt, keinen Trainerschein. Seitdem der bei den Amis kickt, ist er nur noch ein Operettenfußballer.«
Frank nickt langsam und bedacht. Stimmt. Da ist was dran.
Thomas und Lydia beschließen, sich den Tag nicht zu verderben und verabschieden sich. Irgendwie ist Fußballgucken nicht mehr das Gemeinschaftserlebnis von früher, als sich alle in der Kneipe begegneten und Spaß hatten. Heutzutage sitzt jeder in seinem Wohnzimmer vor der Farbglotze und es ist keiner da, mit dem man streiten, lachen oder fachsimpeln kann. Jedenfalls keiner, der mal neue Meinungen einbringt.
Vielleicht, denkt Thomas, sollte man so wichtige Spiele auf eine große Leinewand übertragen und auf dem Marktplatz zeigen oder im Kino. Aber so was geht technisch vermutlich nicht und ist sowieso eine bescheuerte Idee.
Frank mustert seinen Sohn.
Dreißig, immer noch schlank, die Haare wieder kürzer, ein Erfolgsmensch.
Bei ihm ist Lydia, die das Unglück vor vier Jahren gut überstanden hat. Sie bewegt sich mit ihrer Prothese fast normal, allerdings besucht sie einmal in der Woche eine Therapeutin.
Beide scheinen sich gut zu verstehen, jedenfalls strahlen sie das aus.
Oskar sagt was, aber Frank hat nicht zugehört. Er stellt den Ton mit der Fernsteuerung leiser. Tolle Sache, da kann man sitzenbleiben und muss nicht immer zum Fernseher laufen.
» Was hast du gesagt?«, fragt er.
» Ob du deine Rente eingereicht hast, will Oskar wissen«, souffliert Lotte.
Frank grunzt. »Ja. Hab ich dir schon erzählt.«
Oskar fragt: »Wann hörst du auf?«
Thomas und Lydia rufen: »Macht’s gut«, und sind verschwunden. Lotte läuft hinterher. Vermutlich steckt sie den Kindern selbstgebackenen Kuchen zu oder Leberwurst oder frische Äpfel. Irgendetwas nehmen sie immer mit.
» So schnell wie möglich«, antwortet Frank. »Es wird nur noch ein paar Wochen dauern. Die Knappschaft unterstützt das. Sie haben mein Atemvolumen getestet. Zehn Prozent sind es noch. Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.«
» Nu red mal keinen Kokolores. Du kannst locker achtzig werden.«
Frank hebt die Brauen. »Vielleicht, wenn mir Kiemen wachsen.«
Oskar leert die Bierflasche. »Ach lass man. Demnächst legen wir beide uns einen Hund zu und gehen spazieren. Der Lange und der Dicke wird man uns nennen. Ich kauf mir nen Mops und du dir nen Windhund. Man sagt, Männer mit Hunden haben die besten Chancen bei junge Kalinen.«
Frank lächelt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Irmgard so was antust.«
Oskar zuckt mit den Achseln. »Sag das nich. Ein Erfolgserlebnis wäre was, glaub’s mir. Bei Irmi hab ich seit länger als einem Jahr keinen mehr hochgekriegt.«
Frank staunt über die Offenheit seines Freundes und fragt sich, ob sie damit den letzten Schritt zur fahlen Altersfreundschaft gegangen sind, in jene Welt, in welcher der Tod schon mit dem schwarzen Handtuch schmeichelt und es keine Geheimnisse mehr und nichts zu verlieren gibt.
»Ist eine Alterssache«, sagt Frank. »Geht mir nicht anders. Manchmal denke ich, man sollte einen Faden dranknoten, damit man ihn noch findet. Er verschwindet immer mehr im Bauch und verliert komplett seinen Sinn, abgesehen vom Pinkeln und auch das ist nicht mehr, was es früher war. Na ja, das weißt du ja. Schließlich duschen wir fast jeden Tag gemeinsam.«
Oskar verdreht die Augen. »Ich guck seit zwanzig Jahren nicht mehr auf andere Schwänze. Hab zu viele gesehen. Und bei mir gibt’s sowieso nur noch Spiegeleier.«
Frank blickt Oskar fragend an.
»Na
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