Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

ja, ich sehe meine Eier nur noch im Spiegel.«
    Frank verzieht das Gesicht. In der Küche rumort Lotte und die Kinder lachen.
    »Hörst du sie?«, fragt Frank. »Weißt du, in der Jugend sind Frauen die Geliebten der Männer, Gefährtinnen auf der Höhe des Lebens und Pflegerinnen im Alter. Und so fühle ich mich manchmal bei Lotte. Ist nicht besonders sexy, oder?«
    Oskar kriegt rote Wangen. »Aber sie sieht noch richtig knackig aus.«
    » Und was nützt das, wenn der Atem nicht mehr ausreicht, um die Kerzen auf der Geburtstagstorte auszublasen?«
    » Keine Sorge, Frank. Irgendwann hat das Altern ein Ende«, sagt Oskar philosophisch, und Frank traut seinen Ohren nicht. So etwas aus dem Munde seines Freundes, der vermutlich in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Buch gelesen hat. Oskar räuspert sich, als sei ihm peinlich, was ihm da rausgerutscht ist, im Hintergrund fällt die Tür ins Schloss und Lotte kommt ins Wohnzimmer.
    » Habt ihr’s überwunden?«
    Frank sammelt sich, dann begreift er. »Das Fußballspiel? Liebe Güte, es gibt Wichtigeres im Leben.«
    » Ja«, sagt Oskar. »Nen Mops und nen Windhund.«
    Frank kichert und Lotte begreift nicht, was los ist. Dann bricht Frank in lautes Lachen aus. »Du und ein Mops ...« Er zeigt auf Oskar und der fällt in das Lachen ein. Sie lachen immer lauter und Frank rollen Tränen über die Wangen. »Spiegeleier!«
    Oskar kriegt sich nicht mehr ein und sein Zeigefinger schnellt vor. »Kiemen!«
    Lotte macht eine Schnute und beschließt, noch drei Flaschen Bier aus der Küche zu holen. Das Lachen der Männer begleitet sie wie ein milder Hauch, der nach Jugend und Rasierwasser duftet .

3
     
    Arndt drückt sich hinter eine Litfaßsäule und hofft, Mike nicht aus den Augen zu verlieren. Er presst sein Gesicht an das Kinoplakat für den Film Die unendliche Geschichte . Daneben eines für Indiana Jones und der Tempel des Todes . Die Welt will sich durch Märchen unterhalten fühlen.
    Charlottenburg brodelt, der Spätsommer schafft klare Luft und milde Temperaturen. Doch dafür hat Arndt keinen Blick. Sein Auge ruht auf Mike, der Richtung Bundesplatz schlendert. Hier kann man schnell den Überblick verlieren, denn es gibt sechs Straßeneinmündungen, eine S-Bahn und einen U-Bahnhof. In der Nähe des Rosengartens, nahe der Phönix-Skulptur, hält Mike inne. Arndts Liebster schaut auf die Uhr, zündet sich eine Zigarette an und stopft eine Hand hinter den Jeansgürtel. Noch immer ist er schlank und ausnehmend gutaussehend.
    Arndts Herz pocht und gleichzeitig möchte er weinen.
    Was ist in ihn gefahren, Mike zu beschatten?
    Ich weiß, was ich fühle! Und ich fühle, dass Mike mich betrügt!
    Gibt es einen anderen Mann? In den letzten vier Jahren war Mike ein guter Freund, sanfter Partner und eifriger Liebhaber. Nichts deutete darauf hin, etwa stimme nicht mit ihrer Beziehung. Doch seit ein paar Wochen ist Mike schweigsamer, in sich gekehrt, wenig gesprächig und sexuell abweisend. Für so etwas mag es viele Gründe geben, doch Arndt sieht nur einen: Mike hat sein Herz anderweitig verschenkt!
    Arndt versucht, sich nicht auffällig zu benehmen, was nicht einfach ist, da seine Physis regelrecht appelliert, schräg angeschaut zu werden. Erstaunlich, wie Mike das, besonders zu Beginn ihrer Liebe, verkraftete. Hier ein Kerl, der sowas von hetero wirkt, und neben ihm eine tänzelnde Schwuchtel. Es schien Mike nie zu stören, wofür Arndt ihn abgöttisch liebt.
    Diese Liebe hat einen Riss.
    Und dieser Riss wird immer tiefer, als sich sein Verdacht bestätigt.
    Eine blonde Frau steuert direkt auf Mike zu, der die Zigarette wegwirft, die Arme hebt, übers ganze Gesicht strahlt und die Frau an sich drückt. Arndt kennt dieses Wesen, denn er hat sie auf unzähligen Fotos gesehen. Sie heißt Marita und war viele Jahre lang mit Mike liiert. Wie es aussieht, rostet alte Liebe nicht und Arndt wird das Nachsehen haben.
    Küssen sie sich?
    Nein, aber Mike steht das Bedürfnis ins Gesicht geschrieben, dafür kennt Arndt ihn gut genug. Das also ist der Dank dafür, dass er den verwahrlosten Mann bei sich aufnahm, ihm ein Heim bot, Liebe und Geborgenheit. Seit vier Jahren hat Mike nicht mehr gearbeitet, denn Arndt wechselte zu einem Großverlag, wo er prompt erfolgreich war und das aktuelle Sachbuch des Autors Paul Watzlawik betreute und anschließend als Dank nach Stockholm geschickt wurde, wo William Golding den Literaturnobelpreis erhielt.
    1983 war ein gutes Jahr gewesen! Arndt verdiente