Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
ist allemal besser als Lydias schlechte Laune.
» Warum läufst du wieder weg?«, fragt sie ihn.
» Liebe Güte«, sagt er lauter, als gewollt. »Ich habe einen langen Tag hinter mir, habe einen Haufen Geld gemacht und mir etwas Ruhe verdient. Schlimm genug, dass es nichts zu essen gibt und hier eine Stimmung herrscht, die man schneiden kann.«
» Glaubst du wirklich, ich sei dein Hausmütterchen? Nur, weil ich einen Plastikfuß habe und nicht in der Lage bin, so wie du den ganzen Tag zu Kunden zu spazieren?«
» Ich halte dich nicht für ein Hausmütterchen.«
» Doch, das tust du. Du kommst nachhause und möchtest am liebsten die Pantoffeln gereicht bekommen.«
Thomas verdreht die Augen. »Lass mir bitte eine halbe Stunde Ruhe.«
» Das ist typisch!« Ihre Stimme wird lauter. »Sobald man dir was sagt, willst du deine Ruhe haben. Warum setzt du dich nie mit etwas auseinander? Oder willst du blöd sterben?«
» Erstens lebe ich noch eine lange Zeit und zweitens halte ich mich nicht für blöd.«
» Und doch bist du es. Ein Versager bist du. Ein Eheversager! Da nützt dir dein ganzer beruflicher Erfolg nichts. Den hast du sowieso nur, weil du ein Versicherungsbetrüger bist und die Leute belügst und um den Finger wickelst.«
Womit sie nicht Unrecht hat, denkt Thomas.
»Kannst du dich eigentlich noch im Spiegel ansehen?«
Es ist wie immer. Sie redet und klebt ihn regelrecht fest. Er schafft es nicht, sie alleine zu lassen und täte er es, würde sie ihm folgen. Sie würde dafür sorgen, dass er nicht eine Minute der TV-Sendung mitkriegt, wird reden und reden. Geht er ins Bett, kommt sie hinterher und zieht ihm die Bettdecke weg, fordert das Gespräch, wobei sie wie eine Irre wirkt. Einmal hatte sie eine Gießkanne bei sich, mit der sie ihn goss, als sei er eine verdorrte Pflanze, und irgendwie fühlte er sich auch so. Immer wieder Wasser in den Nacken, damit er sich abkühle und nicht so rumbrülle. Obwohl sein Tonfall leise und beruhigend war. Sehr leise sogar. Er hatte überlegt, aufzuspringen und sie zu verprügeln, denn die Erniedrigung schmerzte höllisch. Selbstverständlich tat er es nicht, sondern ließ es zu, dass sein Hemd klitschnass wurde und sie sich freute, dass er immer kühler wurde. In ihm brannte ein Feuer und er wusste, dass er es ihr nie vergessen würde.
Doch auch das war irgendwann vorbei, und schließlich, es waren nur ein paar Stunden vergangen, schmiegte sie sich an ihn und war zauberhaft und verliebt und weich und schmusig. Als täte es ihr leid, was er nicht annahm. Ihr tat nie etwas leid. Nie entschuldigte sie sich für etwas, stets meinte sie, im Recht zu sein.
Sie ist krank, beruhigt Thomas sich. Sie hat zu viel erlebt. Der Schock, der Fuß. Ihre Seele ist krank!
Aber kann man damit alles entschuldigen?
Seitdem er wieder schreibt, am Wochenende und manchmal abends, hat er noch weniger Zeit für sie. Das erfüllt ihn mit einem schlechten Gewissen, doch wenn sie seine Schreiberei kritisiert, wehrt er sich.
»Ich liebe das. Ich möchte irgendwann ein Schriftsteller sein.«
» Pah!«, spuckt sie aus. »Deine Tintenkleckserei wird dich nie auf einen grünen Zweig bringen.«
» Tíntenkleckserei?«
» Ja, was denn sonst? Hast du schon was Vernünftiges veröffentlicht? Können wir davon leben? Bringt es dir Geld? Ist doch nur ein blödes Hobby.«
In diesen Momenten hasst er sie, denn er kann sich gegen ihre Unterdrückung nicht wehren. Also versucht er, zu schweigen, wobei ihm die Decke auf den Kopf fällt und sich die Wände über ihn zu beugen scheinen. Dann raucht er zu viel und hat stets Tränen hinter den Lidern.
Das kann sie so sehr in Rage bringen, dass sie sich in sein Hemd verkrampft, es zerreißt und ihm unterstellt, er habe sich an ihr vergriffen. Einmal rannte sie zum Telefon und rief die Polizei an, legte sofort auf, als man sich am anderen Ende meldete, und reagierte nicht auf die Rückrufe, die sich vergewissern wollten.
Am nächsten Tag schämte sie sich, zumindest hatte es den Anschein. Vielleicht aber auch nicht. Vermutlich war sie nur geil auf ihn, angetörnt von sich selbst und ihrer brüllenden Stimmung.
Das sind die Augenblicke, in denen Thomas sich alles zurückholt, was sie ihm nimmt. Dann, wenn sie eine wunderbare Liebhaberin ist. Dann liebt Thomas sie, und obwohl er weiß, wie fadenscheinig das alles ist, genießt er den Augenblick, und dass sie ihm sagt, er sei die Liebe ihres Lebens.
Doch bis dahin wird es noch dauern.
Zuerst muss er sie
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