Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
Mach bitte die Augen zu.”
“Ich soll – was?” Noelle schüttelte energisch den Kopf. “Kommt gar nicht infrage, ich bin doch kein kleines Kind!”
“Also gut, dann eben nicht”, seufzte Eva, öffnete die Tür und betrat den dahinterliegenden Raum, der wie eine düstere Abstellkammer aussah.
“Was soll das? Ich bin wirklich nicht in der richtigen Stimmung für dumme Scherze. Ich …” Noelle verstummte, als Eva mit einem Ruck die Vorhänge aufzog, die bis dahin alles Licht ausgesperrt hatten. Ihre Augen weiteten sich. “Du liebe Güte, was ist denn das?”
Der Grund für ihr fassungsloses Staunen war das zartviolette Kleid, das über eine Schneiderpuppe drapiert vor dem Fenster stand. Es war schmal geschnitten wie ein Etuikleid, mit kurzen Ärmeln und einem runden Ausschnitt. Der blass schimmernde lavendelfarbene Stoff erinnerte Noelle an …
“Ich habe es gestern Nacht aus Stoffresten der Brautjungfernkleider für dich zusammengeschneidert”, erklärte Eva stolz. “Gefällt es dir?”
“Ob es mir gefällt?” Noelle umarmte ihre Freundin stürmisch. “Gefallen ist gar kein Ausdruck! Und du hast das wirklich für mich gemacht?”
“Natürlich. Du sollst doch hübsch aussehen, wenn du dich heute Abend mit deinem Traumprinzen triffst.”
Noelle holte tief Luft. Träumte sie, oder passierte das alles hier gerade wirklich? “Danke”, stieß sie gerührt aus, und ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, stiegen ihr Tränen in die Augen. “Ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe.”
“Wozu sind Freundinnen schließlich da? Und jetzt sollten wir uns beeilen, dein Henrik erwartet dich um halb sechs, und wir haben noch jede Menge zu tun!”
Als Noelle sich eine halbe Stunde später im Spiegel betrachtete, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Die Veränderung konnte größer überhaupt nicht sein. Eva hatte mit kleinem Aufwand wirklich eine große Wirkung erzielt. Noelles sonst nur so schwer zu bändigende Locken fielen ihr in glänzenden Wellen über die Schultern. Lipgloss ließ ihre Lippen verführerisch schimmern, etwas Rouge betonte die Wangenknochen.
Das Kleid passte wie angegossen und betonte Noelles schlanke und doch weibliche Figur perfekt. Sie fühlte sich wie eine Märchenprinzessin, und für einen Moment wagte sie zu hoffen, dass sich tatsächlich alles zum Guten wenden würde.
Doch dann ließ sie plötzlich die Schultern hängen.
Natürlich bemerkte Eva den plötzlichen Stimmungsumschwung ihrer Freundin. “Was ist los? Du wirkst auf einmal so bedrückt”, fragte sie mit gerunzelter Stirn.
“Ich weiß nicht recht. Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Ich meine, das Kleid ist wirklich wunderschön, und ich danke dir auch sehr dafür.”
“Aber?”
“Das bin ganz einfach nicht ich”, erwiderte Noelle traurig. “Du hast mir doch selbst gesagt, dass ich Henrik endlich die Wahrheit sagen muss. Aber was macht es dann für einen Sinn, sich noch länger zu verstellen? Wäre es nicht besser, ich würde ganz einfach als ich selbst zu dieser Verabredung mit ihm gehen?”
“Papperlapapp!” Eva schüttelte den Kopf. “Was ist daran auszusetzen, sich für ein Treffen mit dem Mann seiner Träume ein bisschen hübsch zu machen? Du musst aufhören, das alles so furchtbar verkrampft zu sehen! Wenn dein Henrik wirklich so ein toller Typ ist, wie du denkst, würde es mich doch sehr wundern, wenn ihm deine gesellschaftliche Stellung nicht im Grunde völlig egal ist.”
“Meinst du wirklich?”
“Aber sicher. Außerdem siehst du einfach hinreißend aus.” Eva grinste. “Falls er ein echter Mann ist, wird er dir gar nicht widerstehen können, selbst wenn er wollte. Und wenn er nicht erkennt, was er an dir hat, ist ihm einfach nicht zu helfen.”
Die Freundinnen umarmten sich innig.
“Du schaffst das! Ganz sicher. Und jetzt komm, lass uns aufbrechen. Mein Wagen steht draußen auf dem Parkplatz. Ich nehme dich natürlich mit in die Stadt.”
Eine Stunde später saß Noelle neben Henrik in dessen Mietwagen und schaute zum Seitenfenster hinaus.
So muss das Paradies aussehen, dachte sie verträumt. Saftig grüne Wiesen und leuchtend gelbe Rapsfelder, so weit das Auge reichte. Schwarz-weiß gefleckte Kühe, die friedlich im Schatten hoher Linden grasten, und über allem spannte sich der strahlend blaue Himmel, an dem sich lediglich ein paar harmlose Schäfchenwolken tummelten. Die Luft war lau, es herrschten mehr als angenehme Temperaturen.
Es war perfekt, einfach
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