Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)

Tusmundsson saß mutterseelenallein so spät noch bei der Arbeit. Sie warf einen Blick auf die große Bahnhofsuhr an der Wand und unterdrückte ein Gähnen.
    Schon nach halb zwei.
    Normalerweise würde sie jetzt schon längst in ihrem Bett liegen und tief und fest schlafen. Aber dies waren keine normalen Umstände, denn es ging darum, einer Freundin zu helfen. Dafür, fand Eva, konnte man ruhig einmal die Nacht zum Tag machen. Seit sie gehört hatte, dass Noelle sich erneut mit ihrem Henrik treffen würde, konnte sie an nichts anderes mehr denken. Ihre Freundin liebte diesen Mann, davon war Eva ebenso überzeugt wie davon, dass Noelle es für den Rest ihres Lebens bereuen würde, wenn sie jetzt nicht auf die Stimme ihres Herzens hörte.
    Natürlich fürchtete sie um ihren Arbeitsplatz! Wem ginge das an ihrer Stelle wohl anders? Aber so weit es Eva betraf, gab es im Leben wichtigere Dinge, und die Liebe gehörte zweifelsfrei dazu.
    Was nützte einem der beste Job auf der Welt, wenn es am Ende niemanden gab, mit dem man seine Freude teilen konnte? Wie leer und einsam war ein Leben, das allein aus Arbeit und Karriere bestand? Allein die Vorstellung ließ Eva erschauern. Nein, so etwas kam für sie überhaupt nicht infrage. Und Noelle war, so sehr sie sich auch noch dagegen sträubte, ganz ähnlich veranlagt.
    Das Problem bestand darin, dass sie immer noch unter dem katastrophalen Ende der Beziehung zu ihrem Exfreund Felix litt. Dieser Schuft hatte Noelle nach Strich und Faden ausgenutzt, dreist ihre Ideen als die seinen verkauft und sich damit bei seinen Vorgesetzten eingeschmeichelt. Sein Plan ging tatsächlich auf, er bekam einen Posten als Geschäftsführer einer kleinen Konditorei in Nordschweden, und Noelle begleitete ihn. Doch das reichte ihm noch nicht. Er trieb das Spiel weiter, bis man ihm schließlich eine verantwortungsvolle Stelle in Göteborg anbot. Am Ziel seiner Karrierewünsche angelangt, dachte er nicht im Traum daran, nun seinerseits Noelle bei ihren Zukunftsplänen zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: Er beendete von einem Tag auf den anderen die Beziehung.
    Kurz darauf kam Noelle nach Stockholm und trat die Stellung in der königlichen Hofkonditorei an. Über die Demütigung durch ihren Exfreund war sie jedoch nie so richtig hinweggekommen, wie sie Eva einmal gestand. Aber so gemein und hinterhältig Felix auch gewesen sein mochte, das rechtfertigte in Evas Augen noch lange nicht, dass Noelle sich seitdem generell von den Männern und der Liebe distanzierte.
    Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Manchmal muss man etwas riskieren, um zum Schluss als Sieger aus dem Rennen zu gehen.
    Es stimmte schon, dass Noelle Gefahr lief, ihre Anstellung zu verlieren, wenn irgendjemand herausfand, dass sie sich mit einem Gast eingelassen hatte. Auf der anderen Seite konnte Eva sich nicht vorstellen, dass es wirklich dazu kommen würde. Schließlich waren auch Arbeitgeber nur Menschen mit Gefühlen – da bildete auch der schwedische Königshof keine Ausnahme.
    Gerade vor dem Hintergrund, dass die Kronprinzessin in Kürze ihren Liebsten heiraten würde, durfte man doch wohl ein wenig Verständnis und Wohlwollen in Herzensangelegenheiten erwarten – oder?
    Ein zufriedenes Lächeln umspielte Evas Mundwinkel. Sie jedenfalls wollte ihr Möglichstes tun, um Noelle dabei zu unterstützen, ihr Glück zu finden. Ihre Freundin würde ganz schön Augen machen, wenn sie sah, was Eva im Laufe einer einzigen Nacht für sie gemacht hatte.
    Eva seufzte verträumt.
    In dem Kleid, das sie geschneidert hatte, würde Noelle aussehen wie eine Prinzessin. Zumindest das wollte Eva für ihre Freundin tun, wenn sie ihr auch sonst nicht helfen konnte.
    Danach blieb ihr nur noch zu hoffen, dass alles so verlief, wie sie es sich vorstellte.
    Am nächsten Morgen fuhr Henrik in aller Frühe nach Stockholm. Nun wartete er schon seit über einer Stunde im Vorzimmer des Direktors einer namhaften schwedischen Bank darauf, vorgelassen zu werden. Er wusste, es war im Grunde reine Zeitverschwendung, die Bank um einen Kredit zu ersuchen. Aber er wollte einfach jede Möglichkeit ausschöpfen und suchte nach einer Alternative zu dem, was ihm ansonsten bevorstand. Es war verrückt – eigentlich hatte er sich längst damit abgefunden, Matilda zu heiraten, um von ihrem Vater das Geld zu bekommen. Doch seit Kurzem wurden die Zweifel an diesem Vorhaben immer stärker. Auch daran trug vor allem eine Person die Schuld.
    Noelle.
    Seit er sie kennengelernt hatte,