Die Mitternachtsrose
Brot mit Butter gebracht, meine Liebe. Und dazu ein Stück von meiner Bakewell Tart mit Vanillesauce « , fügte sie hinzu und hob den Deckel, unter dem sich die Nachspeise befand, mit großer Geste an.
» Danke. «
» Brauchen Sie sonst noch was? «
» Nein danke. Das Haus ist wirklich sehr schön. «
» Ja. Sie ahnen nicht, welche Opfer dafür gebracht wurden. « Mrs Trevathan seufzte leise.
» Ich bin unten dem Gärtner begegnet. «
» Dem Gärtner? « Mrs Trevathan hob eine Augenbraue. » Unten, im Haus? «
» Ja. «
» Wir haben jemanden, der einmal die Woche zum Rasenmähen kommt. Vielleicht hat der nach Seiner Lordschaft gesucht. Aber jetzt lasse ich Sie in Ruhe Ihre Suppe essen. Um wie viel Uhr möchten Sie morgen frühstücken? «
» Ich brauche kein großes Frühstück, nur Orangensaft und Joghurt. «
» Mal sehen, was ich tun kann « , sagte Mrs Trevathan mit deutlich sichtbarer Missbilligung über Rebeccas Essgewohnheiten und ging zur Tür, wo sie sich mit einem versöhnlichen Lächeln umdrehte. » Gute Nacht, meine Liebe, schlafen Sie gut. «
» Gute Nacht. «
Rebecca verzehrte die köstliche Kartoffel-Lauch-Suppe und das knusprige Brot, dick mit Butter bestrichen. Weil sie danach immer noch Appetit hatte, probierte sie einen Löffel von der merkwürdigen Nachspeise und aß sie ebenfalls auf, bevor sie sich mit schlechtem Gewissen aufs Bett plumpsen ließ. Sie durfte sich nicht an das schwere englische Essen gewöhnen, dachte sie, auch wenn es noch so gut schmeckte.
Als sich ihr Magen nicht mehr ganz so voll anfühlte, stand sie auf und holte ihr Handy aus der Handtasche, um die Nachrichten darauf abzuhören. Doch ein Blick aufs Display sagte ihr, dass sie keinen Empfang hatte. Das Gleiche galt für ihr iPad.
Sie schmunzelte. Am Morgen hatte sie sich an einen Ort gewünscht, an dem niemand sie erreichen konnte, und nun schien ihr Traum sich zumindest für diesen Abend zu erfüllen. Sie legte sich wieder aufs Bett, schaute durchs Fenster hinaus, beobachtete, wie die Sonne über dem Moor unterging, und genoss die Stille.
Rebecca nahm sich das Drehbuch vor. Sie spielte Lady Elizabeth Sayers, die hübsche junge Tochter des Hauses. Man schrieb das Jahr 1922, Jazz Age. Elizabeths Vater wollte sie mit einem benachbarten Grundbesitzer verheiraten, doch sie hatte andere Vorstellungen. Der Film präsentierte die britische Aristokratie in einer sich wandelnden Welt, in der die Frauen erste zaghafte Schritte in Richtung Emanzipation wagten und die Arbeiterschicht nicht länger bereit war, sich dem Adel unterzuordnen. Elizabeth verliebte sich in einen Dichter namens Lawrence, den sie in einer Londoner Künstlerclique kennengelernt hatte. Dass sie ihren Eltern Schande machte, um ihrem Herzen zu folgen, war eine uralte Geschichte, die für Rebecca jedoch Hugo Manners’ geistreich-anrührenden Drehbuchs wegen eine ausgesprochen attraktive Rolle bot.
Wie immer begann der Drehplan nicht am Anfang der Geschichte, und Rebeccas erste Szene mit James Waugh, der den Dichter spielte, war bereits für den übernächsten Tag geplant. Sie würde im Garten stattfinden und beinhaltete einen leidenschaftlichen Kuss. Rebecca seufzte. Egal, wie oft sie schon vor der Kamera verführt worden war: Vor Liebesszenen mit Kollegen, die sie kaum kannte, hatte sie immer Angst.
Aus den Augenwinkeln nahm sie im Garten eine Bewegung wahr. Sie trat ans Fenster und sah, wie der Gärtner, der irgendwie einsam und traurig wirkte, sich auf eine Bank setzte und in die sich herabsenkende Dämmerung starrte.
Nach einem Bad schlüpfte Rebecca zwischen die rauen, gestärkten weißen Laken. Als sie ihren Text durchging und den britischen Akzent der zwanziger Jahre übte, hatte sie das Gefühl, tatsächlich in die Welt des Drehbuchs einzutauchen, so wenig schien sich seit damals in diesem Haus verändert zu haben.
Nach zehn Uhr schaltete Rebecca das Licht aus, obwohl sie glaubte, des Jetlags wegen nicht schlafen zu können. Doch zu ihrer Überraschung schlummerte sie tief und fest und wachte erst auf, als Mrs Trevathan am folgenden Morgen mit dem Frühstückstablett eintrat.
Später, gegen zehn Uhr, suchte Rebecca die Garderobe zur Kostümanprobe auf. Jean, die schottische Kostümbildnerin, musterte sie. » Sie sind wie geschaffen für diese Epoche. Sie haben sogar ein altmodisches Gesicht. Ich hätte da eine Überraschung für Sie. «
» Ja? «
» Die Haushälterin hat mir gesagt, dass sich in einem der Zimmer oben eine große Sammlung
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