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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Hyperion matt. »Setz dich hin, Mildred, ich bitte dich. Du wolltest die Vorstellung doch so gern sehen, warum versuchst du nicht, sie zu genießen?«
    Die Vorstellung war Mildred gleichgültig. Sie war hier, weil vornehme Menschen nun einmal ins Theater gingen und weil Eheleute zumindest hin und wieder ihre Abende gemeinsam verbrachten. Hyperion trug den Abendanzug, den sie für ihn bestellt hatte, und hätte er nicht wie am Fleischerhaken darin gehangen, hätte er gut ausgesehen. Sie selbst hatte für ihr Kleid mehr Geld ausgegeben als für die Garderobe der vergangenen Saison zusammen, und die Loge, die sie gebucht hatte, war die teuerste des ganzen Theaters.
    Das Geld war Teil ihres Einsatzes in einem Spiel, das nur die Zähesten gewannen. Den ganzen Winter mit seinen Bällen, Dinners und Theaterpremieren würde sie wiederum darum kämpfen, Einlass in die ersten Häuser der Stadt zu erhalten, so zermürbend dieser Kampf auch war. Als sie an Hyperions Seite das Foyer betrat, hatten die Herren Ternan – der Vater und der aus Paris auf Besuch befindliche Sohn – sie mit gezogenen Hüten gegrüßt. Das war ein Fortschritt, wenn auch nur ein kleiner. Mildred war zufrieden gewesen, bis Bernice Weaver aufgetaucht war und mit dem Finger auf sie gezeigt hatte.
    Noch als die Lichter gelöscht wurden, hatte sie das Gefühl, das gesamte Publikum starre nicht auf die Bühne, sondern ihr ins Gesicht. Nicht bewundernd oder neidisch, sondern voller Hohn. »Wenn du es noch immer nicht kannst, tue ich es«, zischte sie Hyperion zu. Der Vorhang teilte sich und gab eine orientalische Marktszene frei. Goldgelbe Gewürze quollen aus Jutesäcken, und in den Winkeln dösten zwei beladene Maulesel.
    »Was tust du?«
    »Dieses Weib in die Schranken weisen.«
    »Ich bitte dich, Mildred.«
    »Wenn du wüsstest, wie satt ich deine Bitten habe, würde dir übel.« Aus dem Parkett blickte ein kahlköpfiger Mann missbilligend zu ihnen auf. Vor Erregung hatte sie vergessen zu flüstern.
    Hyperion legte seine Hand auf ihre. Tag und Nacht sehnte sie sich nach einer solchen Geste, jetzt aber hätte sie die Hand am liebsten weggestoßen. Die Vorstellung begann. Auf die Bühne trippelten ein halbes Dutzend Haremsdamen, die in weiße Pluderhosen gehüllt waren und an den Füßen riesenhafte Holzschuhe trugen. Der Lärm, den die hölzernen Sohlen bei jedem Tanzschritt verursachten, war ohrenbetäubend. Mildred kam es vor, als würden sie auf ihre Schädeldecke einhämmern. Anschließend erschien ein Mann mit Turban, der das Schwert verschluckte, das Mildred sich gewünscht hätte, um Bernice Weaver zu köpfen. Die Maulesel sahen dem Spektakel ungerührt zu und rupften Strohhalme aus aufgetürmten Ballen.
    Als Nächstes wurde ein Klavier auf die Bühne gerollt, und hinterdrein lief ein Mädchen und sang. Es war ein komisches Lied, zu dem vier als Matrosen gewandete Kerle das Mädchen umsprangen und alberne Verrenkungen machten. Aber Mildred fand es nicht komisch. Sie heiße Ellie und sei die Schönheit der Allee, sang das Mädchen mit seiner nicht ganz reinen Stimme. Ihr Liebster werde kommen und sie holen, geradewegs in ihrer beider Paradies.
    Die Traurigkeit, die Mildred überfiel, musste sie um jeden Preis ersticken, denn diese alles verzehrende Traurigkeit drohte sie niederzuwerfen. Wann immer sie sie befiel, sie mit Bildern überschüttete, ihr die alten Lieder und Koseworte ins Ohr säuselte, bäumte sie sich dagegen auf. Zorn war besser. Sie steckte sich die Finger in die Ohren und sah von der Bühne fort in die Loge gegenüber. Bernice, ein Berg in Stahlblau, starrte sie an, als hätte sie den Blick keinen Moment lang abgewandt.
    Sobald die Glocke zur ersten Pause klingelte, sprang Mildred auf und stürmte aus der Loge, ehe Hyperion auch nur versuchte sie aufzuhalten. Im Rennen hörte sie seine Schritte, die ihr folgten, und sein vergebliches Rufen. Wer ihr den Weg versperrte, den stieß sie zur Seite. Der Gang mündete in einen breiten, von gleißenden Kronleuchtern erhellten Korridor, in dem eine Treppe nach unten zur Bar und nach oben zu den höheren Logen führte. Sie hatte die Treppe fast erreicht, als ein Mann schier vor ihr aus dem Boden wuchs und sich durch ihren rasenden Lauf nicht bewegen ließ, zur Seite zu springen.
    Der Mann war so groß und breit, dass sie weder über ihn hinweg noch an ihm vorbeischauen konnte. Mildred schwang zur Seite und versuchte ihn an seiner Linken zu umrunden, er aber trat nach links und schnitt ihr den

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