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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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dem Gewirr schälten, kamen von der falschen Seite. Keine davon gehörte Hyperion.
    »Ach, sieh an – guten Abend, meine Liebe!«, rief Maria Lewis, die Frau des Port Admirals, von der es hieß, sie könne mit ihrer Zunge ein Kriegsschiff bewaffnen. »So trifft man sich also. Und Ihrem Bekannten bin ich doch auch schon begegnet – wo war das gleich? Helfen Sie mir auf die Sprünge?«
    »Im Haus Ihres Schwagers«, erwiderte Victor an Mildreds Stelle. »Ich war Mr Weavers Laufbursche, was bedeutend ehrenvoller ist, als der Bekannte dieser Dame zu sein.« Er zeigte mit dem Finger auf Mildred wie zuvor Bernice Weaver. Eine größere Schmähung war kaum möglich. Hyperion müsste ihn zum Duell fordern, durchfuhr es Mildred, wobei sie sich nicht sicher war, ob Männer das wirklich taten – aufeinander schießen, um die Ehre einer Frau zu verteidigen –, oder ob es eine Erfindung aus Daphnes Romanen war. In jedem Fall würde Hyperion es nicht tun. Nicht für Mildred.
    »Du wirst dich entscheiden müssen, ob du mit dieser Person sprichst oder mit mir, Maria«, kreischte Bernice. Mildreds Blick glitt zur Seite. Sie sah Hector, der schräg hinter Maria stand, und das blaugekleidete Monstrum von Frau, das an seinem Arm zerrte.
    »Ich an Ihrer Stelle gäbe Mrs Weaver den Vorzug«, bemerkte Victor. »Der echten Mrs Weaver, meine ich. Nicht der, die sich lediglich so nennt, weil sie sich alles nimmt, was ihr gefällt.«
    Selbst der boshaften Maria entfuhr ob der Unverfrorenheit ein erschrockener Laut. Mildred stockte der Atem. Hatte sie sich eben noch an die Wärme dieses Mannes erinnert und sich kurz darauf vor ihm gefürchtet, so obsiegte jetzt der Zorn. Sie sprang auf ihn los, die Hände vorgestreckt, die Nägel auf seine Augen gerichtet. Es war Hyperion, der sie packte und zurückriss. Es überraschte sie, dass er die Kraft besaß, sie zu bändigen.
    »Nicht doch, Mildred. Ich bitte dich. Und Sie, März, entschuldigen sich.« Bei meiner Frau, fügte er nicht hinzu.
    Ein Tumult entstand, in dem alle Stimmen auf Mildred einzudringen schienen. Bernice versuchte ihre Gruppe zum Weitergehen zu bewegen, der Port Admiral bemühte sich um Beschwichtigung, und seine Frau und Hector riefen irgendetwas Spitzes, Amüsiertes wie bei einem Ringkampf auf dem Clarence Pier. Hinzu kam das Gemurmel der Schaulustigen, die sich in einem immer fetter werdenden Gürtel um sie schlossen. Deutlich zu verstehen war nur, was Victor sagte. Er neigte ein wenig den Kopf, eine Geste scheinbarer Demut, die das Ganze noch unverschämter machte. »Nein, Mr Weaver«, sagte er.
    Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen. »Nun gut denn«, entgegnete Hyperion dann.
    Maria Lewis entfuhr ein schrilles Gelächter, Mildred ein heiserer Schrei. Sie hatte Victor schlagen wollen, sie fuhr herum und schlug Hyperion. Das klatschende Geräusch schnitt in ihr Trommelfell, und das Geschrei verschwamm in ihren Ohren zum Rauschen. Was sie in Jahren in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut hatte, jeden winzigen Fortschritt, hatte sie mit einem Schwung ihres Arms zerstört. Und wer war schuld daran? Bernice Weaver und Maria Lewis, doch keiner so sehr wie Victor März.
    Ich zahle es dir heim. Wie du mich hasst, war mir bis heute nicht einmal bewusst, doch von jetzt an hasse ich dich mit derselben Kraft.
    »Allerliebst«, bemerkte eine Frauenstimme in den Aufruhr hinein. »Darf man sich dieser Familienzusammenkunft anschließen?«
    Mildred fuhr herum. Ihr gegenüber, bei Hector Weaver, stand eine Frau, deren Aufmachung meilenweit anzusehen war, welchem Gewerbe sie nachging. Ihr Gesicht war so dick mit billiger Schminke bedeckt, dass die Schicht auf den Wangen Risse warf und der Mund wie eine blutige Wunde leuchtete. Dass eine solche Person sich an ehrbare Mitglieder der Gesellschaft heranschlich und versuchte mit ihnen zu sprechen, war derart skandalös, dass Bernice der Schlag treffen mochte. Mildred hingegen hatte unter solchen Frauen gelebt. Erschrocken war sie nur, als sie an ihr hinuntersah. Das Kleid der alten Hure, das aufreizend und schäbig zugleich war, hatte dieselbe Farbe wie ihr eigenes.
    »Dass meine Schwiegertochter oder mein Sohn mir guten Abend wünschen, darf ich wohl kaum hoffen«, flötete die Frau.
    Mildred glaubte sich verhört zu haben. Am liebsten hätte sie die Hure gebeten, ihre Worte zu wiederholen. Dann aber blickte sie von ihrem zerstörten Gesicht in das Gesicht von Hector und begriff – es war die Wahrheit. Die beiden waren blutsverwandt. Mutter

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